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Erziehungsstile

Zitiervorschlag: Rieß, A. (2020). „Erziehungsstile“. Abgerufen von URL https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:verhalten:theorien_verhalten:erziehungsstile, CC BY-SA 4.0

KurzbeschreibungErziehungsstil bezeichnet den „gemeinsamen, charakteristischen Grundzug, die besondere Ausprägung des erzieherischen Verhaltens und Handelns des Erziehenden oder einer Erziehungsgruppe.“ (Dolch 1960) Die Stile beschreiben die Art und Weise, wie sich Eltern gegenüber Kindern verhalten. Die Erziehungsstile zeichnen sich dabei durch den Grad an elterlicher/ erzieherischer Wärme und Vertrauen auf der einen Seite und der elterlichen/ erzieherischer Kontrolle und Strenge auf der anderen Seite aus. Je nachdem wie die Einstellung zum Kind geprägt ist, ergibt sich ein Erziehungsstil.
Wie kann die Theorie beim Erklären von Verhalten helfen?Die im Folgenden in der Tabelle beschriebenen Erziehungsstile und Erziehungspraktiken unterliegen kulturellen, sozioökonomischen Einflüssen und sind auch durch das Verhalten und das Temperament des Kindes gelenkt. Ein einseitiger nur durch Eltern geprägter Erziehungsstil ist nicht gegeben. Erziehungspraktiken sind vielmehr eine aus multifaktoriellen Aspekten sich ergebene Eltern-Kind Interaktion.
ErziehungsstilMerkmaleMögliche Auswirkungen
Autoritativ Eltern
… stellen Anforderungen.
… gehen auf das Kind ein.
… setzen klare Regeln und Grenzen.
… geben beträchtlich Autonomie innerhalb dieser Grenzen.
… reden mit ihren Kindern ruhig und vernünftig.
… Strafen sind maßvoll und konsequent.
Kinder
… sind häufig selbstbewusst und bei ihren Altersgenossen beliebt.
… zeigen kaum unsoziale Verhaltensweisen.
… besitzen relativ hohe schulische Fähigkeiten.
… besitzen eher Selbstvertrauen.
… nutzen eher Bewältigungskompetenzen.
… konsumieren seltener Drogen.
AutoritärEltern
…gehen seltener auf Bedürfnisse der Kinder ein.
… schränken die Meinungsfreiheit der Kinder ein.
… unterbrechen Kinder, wenn sie sich mitteilen wollen.
… üben starke Kontrolle aus.
… stellen hohe Anforderungen.
… erzwingen ihre Forderungen.
… stellen viele Regeln auf.
… drohen überdurchschnittlich häufig mit Strafen.
… üben bei Bedarf auch Gewalt aus, um ihre Anforderungen durchzusetzen.
… entziehen den Kindern Liebe und Aufmerksamkeit.
… nutzen Schuldgefühle der Kinder, um sie herabzusetzen.
… bewerten die Gefühle der Kinder als falsch.
… nutzen Möglichkeiten der Beschämung, um ihre Anforderung durchzusetzen.
Kinder
… besitzen relativ geringe soziale Kompetenzen.
… entwickeln weniger schulische Kompetenzen.
… sind eher unglücklich.
… sind eher unfreundlich.
… sind eher unsicher, da sie häufig nicht abschätzen können, was als Nächstes kommt.
… entwickeln weniger Selbstsicherheit.
… zeigen sich weniger selbständig.
… werden in Klassengemeinschaften seltener integriert.
… entwickeln ein eher egozentrisches Sprachverhalten (ich, mein, mich, mir)
… setzen eher ihre eigenen Bedürfnisse durch.
… haben ein größeres Risiko zur Erkrankung an Depression.
… entwickeln eher Alkoholprobleme.
… werden eher delinquent.
… entwickeln eher externalisierte Verhaltensweisen in der Adoleszenz.
Permissiv - verwöhnendEltern
… reagieren auf die Bedürfnisse der Kinder.
… reagieren auf die Wünsche der Kinder.
… haben durchaus eine herzliche Beziehung zu den Kindern.
… geben viel Freiheit.
… vermeiden Eingriffe in die Persönlichkeitsentwicklung.
… zeigen keine aktive Beziehung im Rahmen von Feedback und Regeln.
… sie verlangen keine Selbstregulation.
… verlangen keine angemessene Verhaltensweise.
… unterstützen ihre Kinder.
Kinder
… müssen selbst die Initiative ergreifen und Verantwortung übernehmen.
… sind häufig impulsiv.
… fehlt Selbstbeherrschung.
… entwickeln weniger wirksame Strategien zur Inhibition.
… haben oftmals Probleme, Grenzen außerhalb des Elternhauses einzuhalten.
…neigen zu egoistischen Verhaltensweisen.
…lernen weniger auf andere Menschen einzugehen.
…. haben im Jugendlichen- und Erwachsenenalter unter Umständen Probleme beim Aufbauen und Halten von Beziehungen zu Gleichaltrigen.
…fallen häufiger durch nicht angepasstes Benehmen auf.
… entwickeln eher Alkohol- und Drogenprobleme.
Zurückweisend - vernachlässigendEltern
… überlassen das Kind häufig sich selbst.
… zeigen sich eher passiv und gleichgültig gegenüber der Entwicklung der Kinder.
… sind emotional abgewandt und desinteressiert dem Kind gegenüber.
… erteilen kaum Vorgabe.
… stellen kaum Anforderungen.
…setzen dem Verhalten ihrer Kinder keine Grenzen.
… kontrollieren die Kinder nicht.
… bieten keine/ kaum Unterstützung.
… lehnen manchmal ihre Kinder ab.
… nehmen die kindlichen Bedürfnisse kaum wahr.
… sind eher auf ihre eigenen Grundbedürfnisse konzentriert.
…sind selten für ihre Kinder ansprechbar.
Kinder
… leiden an geistiger und seelischer und auch körperlicher Verwahrlosung.
… haben Schwierigkeiten beim Aufbau und Halten von zwischenmenschlichen Beziehungen.
… haben Schwierigkeiten Strukturen und Regeln zu akzeptieren.
… haben Schwierigkeiten sich an Gruppen an zu passen.
… entwickeln nur wenig Selbstsicherheit.
… entwickeln ein eher negativ geprägtes Selbstkonzept.
… zeigen häufig schlechte Leistungen in der Schule.
… entwickeln Depressionen.
… ziehen sich sozial zurück.
… neigen zu Drogenmissbrauch.
… neigen zu wahllosem sexuellen Verhalten.
GrenzenFallspezifisch ist der Zusammenhang zwischen bestimmtem Erziehungsstil und entsprechender positiver bzw. negativer Wirkung auf die Entwicklung eines Kindes nicht eindeutig und unmittelbar interpretierbar. Die Wirkung von Erziehungsstilen ist nur vor dem Hintergrund des kulturellen und sozioökonomischen Kontextes zu bewerten. So hat ein eher als autoritär zu beschreibender Erziehungsstil im afroamerikanischen Raum, in Nachbarschaften mit einer vermehrten kriminellen Durchsetzung eine durchaus positive Wirkung dahingehend, dass Jugendliche eher in der Schule erfolgreich sind. (Deater- Deckard etal.2011; Landsfordet al.2004) Eine maßvolle körperliche Züchtigung zu Korrektur von Fehlverhalten kann hierbei von Jugendlichen als Sorge um das Wohlergehen und Zuneigung verstanden werden (Mc Loyd et al 2007). Eine solche Wahrnehmung und Bewertung scheint damit zusammen zu hängen, dass die elterliche Kontrolle außerhalb des euroamerikanischen Raums eine hohe Wertschätzung erfährt. Die in der Tabelle aufgeführten Erziehungsstile nach Baumrind und deren möglichen Auswirkungen dienen der Orientierung aus Perspektive des euroamerikanischen Erziehungsverständnisses. Eine Interpretation und Bewertung ist immer nur mit dem Wissen um die Sozialisierung der Eltern und der aktuellen Lebenssituation der Familie möglich. Die kulturell- sozioökonomisch geprägten Kontexte und die sich daraus ergebenen Erziehungsstile und Erziehungsgrundsätze der Eltern, können im Widersprüchen zu den Erziehungspraktiken in Schule und Kindergarten stehen. Somit gilt es nicht nur den Erziehungsstil alleine zu betrachten und in Bezug auf gezeigtes Verhalten zu interpretieren. Vielmehr können auch die Widersprüche zwischen der Erziehung im Elternhaus und den Erziehungsansätzen der Institutionen und ihren agierenden Lehrkräften oder Erzieherinnen/ Erziehern in die Hypothese mit einbezogen werden.
Diagnostische Fragestellungen im
Zusammenhang mit der Theorie
- Wie lässt sich die Interaktion zwischen Kind und Eltern beschreiben?
- Wie lassen sich Erziehungspraktiken der Eltern beschreiben?
- Gibt es ein spezifisches Motto unter dem die Eltern die Erziehung gestalten? (Beispiel: Mit Zuckerbrot und Peitsche)
- Wie ist die aktuelle Lebenssituation der Familie? Wie ist der kulturelle und sozioökonomische Kontext des Kindes?
- Gibt es Wiedersprüche in den Erziehungspraktiken zwischen Eltern und Institutionen die das Kind besucht?
Konkrete diagnostische Methoden im
Zusammenhang mit der Theorie
Für die konkrete Diagnostik werden vor allem informelle Beobachtungen und Interviews empfohlen. Da Erziehungsstile und Erziehungspraktiken im familiären Kontext meist nicht direkt beobachtbar sind, müssen Erzählungen der Kinder sowie Eltern mit eigenen Beobachtungen und der eigenen Intuition verknüpft werden.

Literatur

Baumrind, D. (1973). The development of instrumental competence through socialization. In A.D. Pick (Hrsg.), Minnesota Symposia on Child Psychology(Bd. 7, S. 3–46). Minneapolis: University of Minnesota Press.

Deater-Deckard, K., Lansford, J. E., Malone, P. S., Alampay, L. P., Sorbring, E.,Bacchini, D., & Al Hassan, S. M. (2011). The association between parental warmth and control in thirteen cultural group. Journal of Family Psychology, 25, 790–794. doi:10.1037/a0025120.

Dolch, J., 1960, S.58f, zitiert nach Weber, E. (1973). Erziehungsstile (4.Aufl.) Donauwörth

McLoyd, V. C., Kaplan, R., Hardaway, C. R., & Wood, D. (2007). Does endorsement of physical discipline matter? Assessing moderating influences on the maternal and child psychological correlates of physical discipline in African American families. Journal of Family Psychology, 21, 165–175. doi:10.1037/0893-3200.21.2.165.

Siegler R., Eisenberg N., De Loache J.; Saffran J. (2016). Entwicklungs-psychologie im Kindes-und Jugendalters. Berlin Heidelberg

Stolz, L. (2018). Auswirkung der Erziehungsstile auf die Entwicklung des Kindes, Noderstedt: Books on Demand.

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Layout und Gestaltung: Christian Albrecht, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg

wsd/verhalten/theorien_verhalten/erziehungsstile.txt · Zuletzt geändert: 2023/01/30 13:12 von Romina Rauner