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wsd:verhalten:themen:themenfeld5:d10

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Zwangsstörungen F42

Zitiervorschlag: Rieß, A. (2020). „Zwangsstörungen“. Abgerufen von Url https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:werkzeug:verhalten:themen:themenfeld5:d10, CC BY-SA 4.0

ICD 10
bzw. 11

  • F42.0 Vorwiegend Zwangsgedanken oder Grübelzwang: Diese können die Form von zwanghaften Ideen, bildhaften Vorstellungen oder Zwangsimpulsen annehmen, die fast immer für die betreffende Person quälend sind.
  • F42.1 Vorwiegend Zwangshandlungen [Zwangsrituale]: Die meisten Zwangshandlungen beziehen sich auf Reinlichkeit (besonders Händewaschen), wiederholte Kontrollen, die garantieren, dass sich eine möglicherweise gefährliche Situation nicht entwickeln kann oder übertriebene Ordnung und Sauberkeit. Diesem Verhalten liegt die Furcht vor einer Gefahr zugrunde, die den Patienten bedroht oder von ihm ausgeht; das Ritual ist ein wirkungsloser oder symbolischer Versuch, diese Gefahr abzuwenden.
  • F42.2 Zwangsgedanken und -handlungen, gemischt

Statistik

  • Zwangsstörungen sind bei Kindern seltener als bei Jugendlichen: bis 0,2% der 6-7 Jährigen, bis 1,8% der 8-12 Jährigen, bis 3,6% der 12-18 Jährigen, bis 4% bei Erwachsenen
  • Zwangsstörungen (verheimlichte Störung) potentiell unterdiagnostiziert.
  • Die meisten Patienten (80%) berichten über ein Störungsbeginn in der Kindheit
  • Es gibt Anhaltspunkte, dass im Kindesalter bei Jungen eine höhere Rate von Zwangsstörungen als bei Mädchen (3:2) vorliegt, während diese Rate im Jugendalter eher in einer Gleichverteilung der Geschlechter besteht.
  • Häufig werden bei Kinder und Jugendlichen multiple Zwangsgedanken und Zwangshandlungen beschrieben
  • Häufigste Zwangshandlungen sind: Waschen/ Reinigen; wiederholen; Kontrollieren; Ordnen/ Arrangieren; Zählen; Horten/ Sammeln
  • Häufigsten Zwangsgedanken sind: Kontamination; sich selbst oder anderen Schaden zufügen; Körperbezogene Inhalte; Religiöse Inhalte; Sexuelle Inhalte
  • Die meisten Familienmitglieder lassen sich in die Zwangssystematik einbinden

Ursachen und Risikofaktoren Das Kognitive Modell zur Entwicklung von Zwangsstörungen (Salkovkis et. al 1998) legt nahe, dass Zwangsstörungen sich entwickeln und erhalten können, indem eine unangenehme Emotion insbesondere Angst, Scham, Ekel, Risiko erfolgreich vermieden oder verringert werden. Durch Gedanken, Anspannung, Handlungen oder kognitive Rituale wird die Bedeutung des Gedanken bzw. der Handlung verstärkt. Auch ein Neutralisierungsversuch stützt häufig die Bedeutung des Gedankens oder der Handlung und intensiviert damit die Beschäftigung mit der unangenehmen Emotion.


Biografische Entwicklung

  • Negative Lebensereignisse (Ängste, Befürchtungen werden ausgelöst durch Nachrichten oder belastende Familienereignisse)
  • Traumatisierungen

Familiendynamik

  • Psychische Erkrankungen bei den Eltern
  • Modelle der Eltern: Harmonie, nicht anecken
  • Ängstliche oder vermeidende Bewältigungsstile der Eltern
  • Überängstlicher Erziehungsstil: weniger Vertrauen in die Fähigkeiten der Kinder, wenig Förderung der Selbstständigkeit
  • Strenger Erziehungsstil: hohe Leistungserwartung, Fehler dürfen nicht passieren

Selbst

  • Perfektionismus
  • Geringes Selbstbewusstsein
  • Übermäßige Sorgfalt
  • Gewissenhaftigkeit
  • Überzogene Normorientierung
  • Übertriebenes Verantwortungsgefühl
  • Ängstlichkeit
  • Besondere Interessen und Wertemaßstäbe

Gesundheit

  • Genetischer Faktor
  • Neuroimmunologische Faktoren

Peerbeziehung

  • Keine engen Freundschaften pflegen (evtl. auch Auswirkung durch die Zwangsstörung.

Komorbidität
je nach Quelle

  • Angststörung 13-70%
  • Depression 8 -73%
  • Aufmerksamkeitsdefizit/ Hyperaktivitätsstörungen und oppositionelle/ dissoziale Störungen 3 – 57%
  • Essstörungen 12 – 35%
  • Tic – Störungen 13 - 60%
  • Asperger - Syndrom 0 -10%
  • Sprach-/ Entwicklungsstörungen 13 -27%
  • Selektiver Mutismus 0 -15

Symptome

  • Zwangserkrankte verspüren einen starken inneren Drang, Dinge zu denken oder zu tun, die sie selbst zumindest zu Beginn der Symptomatik für unsinnig oder übertrieben halten.
  • Der Versuch, sich gegen diesen Drang zu wehren, gelingt meist nicht oder führt sogar zu einer Zunahme der Gedanken und Impulse.
  • Belastende Gedanken und befürchtete Katastrophen drängen sich immer wieder ins Bewusstsein und lösen massive Unruhe, Anspannung oder Ekel aus.
  • Obwohl der Verstand weiß, dass die Gedanken und Befürchtungen unsinnig oder übertrieben sind, lässt sich das Bedrohungsgefühl nicht beruhigen.
  • Nur durch ritualisiertes Gegensteuern mit Zwangshandlungen oder gedankliche Rituale kann es reduziert werden.
  • Dies kann mitunter bis zu Stunden dauern und den gesamten Tagesablauf beeinträchtigen.
  • Die Einsicht in die Unsinnigkeit der Gedanken und Handlungen ist häufig mit Scham verbunden.
  • Dies führt dazu, dass viele Betroffene versuchen, ihre Symptome vor Freunden und Familienangehörigen zu verbergen.

Intervention allgemein Therapeutische Ansätze:

  • Kognitive Verhaltenstherapie
  • Selbsthilfegruppen

Interventionen der Kontaktpersonen
Zwangserkrankungen können nur durch therapeutische Unterstützung gelöst werden. Die hier angeführten Interventionen können lediglich dabei unterstützen, die gesunden Persönlichkeitsanteile zu stärken und der endlosen Ausbreitung der Krankheit Einhalt zu gebieten.

Einstellungen zu sich selbst, zum Betroffenen und zur Krankheit:

  • Sich selbst nicht vorwerfen, wenn man nicht helfen kann.
  • Zwangsstörungen können nicht durch „zusammenreißen“, „sich ablenken“ oder „Verstand gebrauchen“ gelöst werden
  • Nie unter Druck setzen, sich einer Zwänge auslösenden Situation aus zu setzen.
  • dem Betroffenen immer wieder deutlich machen, dass seine Zwangssymptome – und nicht ihn oder sie als Person – zurückgewiesen werden.
  • die Zwänge des Betroffenen nicht mit sich in Verbindung bringen z.B. indem ich mich als Auslöser bewerte (schuldig fühle) oder indem das Gelingen an die Beziehung zum Betroffenen geknüpft wird. Z.B. „Ich bin es dir offenbar nicht wert, dass du dir Mühe gibst.“

Handlungsoptionen:

  • Betroffenen dazu bringen, sich professionelle Hilfe bei einem Arzt oder psychologischen Psychotherapeuten zu suchen
  • Sich nicht in die Zwangsrituale einbinden lassen bzw. die Einbindung in die Zwangsrituale erkennen und unterlassen
  • Grenzen von außen setzen, indem man sich nicht in das System des Betroffenen hineinziehen lässt
  • Nicht den Alltag von den Zwängen bestimmen zu lassen
  • Sich nicht auf Diskussionen einlassen, wie noch z.B. die Ansteckungsgefahr wirklich ist
  • Möglichst Normalität leben, insbesondre dann, wenn die Zwänge im Alltag mal nur eine geringe Rolle spielen
  • Nicht ständig nach dem inneren Erleben des Betroffenen fragen
  • Nicht in Diskussion z.B. über die tatsächliche Ansteckungsgefahr in Wirklichkeit mit dem Betroffenen kommen

Hilfestellungen:

  • Motivieren Situationen, die Zwänge auslösen, aufzusuchen und sich langsam von weniger belastenden zu stärker belastenden Situationen vorzuarbeiten
  • Anerkennung für jeder Bemühung, den Zwang zu überwinden, geben
  • nicht für „Rückfälle“ kritisieren
  • Normen für Sauberkeit, Waschen, Kontrolle vorleben und vermitteln

Literatur

Baierl, M. (2017). Herausforderung Alltag – Praxishandbuch für pädagogische Arbeit mit psychisch gestörte Jugendlichen. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht.

Deutsche Gesellschaft für Zwangsstörungen (2020). Orientierungshilfe für den Alltag. http://www.zwaenge.de/betroffene/frameset_betroffene.htm

Fricke, S.; Hand, I. (2018). Zwangsstörungen verstehen und bewältigen. Hilfe zur Selbsthilfe. Köln: BALANCE Buch + medien verlag.

Goletz, H.; Döpfner, M.; Roessner, V. (2018). Zwangsstörungen. Göttingen: Hogrefe.

Hoffmann, N.; Hofman,n B. (2017). Wenn Zwänge das Leben einengen. Berlin: Springer.

Hoffmann, N (1990). Wenn Zwänge das Leben einengen. Mannheim: Pal Verlagsgesellschaft.

Reinecker, H. (2017). Ratgeber Zwangsstörungen, Informationen für Betroffene und Angehörige. Göttingen: Hogrefe.

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wsd/verhalten/themen/themenfeld5/d10.txt · Zuletzt geändert: 2023/01/30 13:04 von Romina Rauner