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wsd:kommunikation:hypothesenbildung

Hinweise zur Hypothesenbildung Kommunikation

Zitiervorschlag: Stecher, M. (2022). „Hinweise zur Hypothesenbildung Kommunikation.“ Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:kommunikation:hypothesenbildung, CC BY-SA 4.0

Allgemeine Hinweise

Im Anschluss an die Erhebung diagnostischer Daten erfolgt die Hypothesenbildung. Als Bindeglied zwischen Diagnostik und Didaktik stellt sie das „Kernstück“ sonderpädagogischen Handelns im Rahmen von ILEB dar. Ziel der Hypothesenbildung ist es, Zusammenhänge zu beschreiben, die erklären, woran es liegen könnte, dass bei einem Kind bzw. einer:einem Jugendlichen Schwierigkeiten, z. B. in der Kommunikation, bestehen.

Folgende Aspekte sind hierbei von besonderer Relevanz:

  • Werden relevante, d.h. wissenschaftlich nachgewiesene Zusammenhänge in den Blick genommen?
  • Sind die Hypothesen anhand ausgewählter Theorien/Modelle begründbar?
  • Geben die Hypothesen konkrete Hinweise für die Ableitung von Zielen und Bildungsangeboten?

Spezifische Hinweise zu Kommunikation

Im Folgenden sind verschiedene Hinweise zur Hypothesenbildung im Bereich Kommunikation aufgeführt. Diese sollen die Nutzer:innen von WSD darin unterstützen, Schwierigkeiten in der Kommunikation besser verstehen und erklären zu können.

Die spezifischen Hinweise zu Kommunikation untergliedern sich in folgende Teilfragen:

Ergänzende Hinweise bei Mehrsprachigkeit

Folgende Zusammenhänge können darauf hindeuten, dass es sich bei den Schwierigkeiten eines Kindes bzw. einer:eines Jugendlichen nicht ausschließlich um Schwierigkeiten im Kontext Mehrsprachigkeit handelt:

  • Spracherwerbsschwierigkeiten zeigen sich sowohl in der Erst- als auch in der Zweitsprache (v.a. die Grammatik und Aussprache betreffend). Einschränkungen in den mentalen Funktionen (vgl. oben) haben Einfluss auf alle Erwerbssprachen.
  • Sprachliche Rückstände werden vom Kind bzw. von der:dem Jugendlichen kaum bis gar nicht aufgeholt (Stagnation der Sprachentwicklung)
  • Die Schwierigkeiten im Spracherwerb sind nicht nur ausschließlich auf hemmende Umweltfaktoren zurückzuführen (z.B. zu wenig sprachlicher Input)
  • Auch bei Berücksichtigung der Kontaktmonate mit der Zweitsprache zeigen sich zeitliche und inhaltliche Abweichungen in der Sprech- und Sprachentwicklung
  • Förderliche Kontextfaktoren (Umwelt- und personbezogene Faktoren) können allein nicht die Entwicklungsrückstände aufholen

Hinweise zum diagnostischen Vorgehen bei Mehrsprachigkeit finden Sie hier.


Welche Körperfunktionen haben besonderen Einfluss auf die Kommunikationsentwicklung?

Neben den Sinnesfunktionen Hören und Sehen sowie den Stimm- und Sprechfunktionen (Funktionen der Stimme, die Phonetik betreffende Funktionen / korrekte Lautbildung, Funktionen des Redeflusses und des Sprechrhythmus) sind die im Folgenden aufgeführten mentalen Funktionen von besonderer Bedeutung für die Kommunikationsentwicklung (vgl. Aktas 2012, Szagun 2019):

  • Aufmerksamkeit (Daueraufmerksamkeit, Lenkung der Aufmerksamkeit, geteilte Aufmerksamkeit)
  • Auditive (Wahrnehmungs-)Verarbeitung (Ga) (Fähigkeit, auditive Reize wahrzunehmen, zu analysieren und zu unterscheiden)
  • Kurzzeitgedächtnis (Gsm) (Dient der kurzfristigen Speicherung sprachlicher Informationen / hält phonologische Informationen in einem aktiven Zustand)
  • Fluides Denken und Problemlösen (Gf) (Schlussfolgerndes und logisches Denken bei neuen Aufgabenstellungen, die nicht allein durch den Abruf von erworbenem Wissen, z.B. lexikalisches Wissen, gelöst werden können)
  • Langzeitspeicherung und -abruf (Glr) (Speicherung und Abruf erworbenen Wissens, z.B. lexikalisches oder grammatisches Wissen (Gc), aus dem Langzeitgedächtnis)

Welche Kontextfaktoren haben besonderen Einfluss auf die Kommunikationsentwicklung?

Personbezogene Faktoren, die Einfluss auf die Kommunikationsentwicklung haben:

Personbezogene Faktoren
- Selbstwirksamkeitserwartungen
- Motivation
- Selbstvertrauen
- Selbstkonzept
- Interesse
- Attribuierung
- …

Umweltfaktoren, die besonderen Einfluss auf die Kommunikationsentwicklung haben (Beispiel Lautsprache):

Unterstützung und BeziehungenLernumgebungEinstellungenHilfsmittel
- Bekommt das Kind zusätzliche sprach- bzw. kommunikationsfördernde Angebote (z.B. Logopädie)?
- Wie gestalten sich die Beziehungen des Kindes im familiären und schulischen Kontext?
- Gibt es spezifische Angebote zu Pragmatik, Wortschatz, Sprachverständnis, Grammatik?
- Werden sprach- und kommunikationsfördernde Rituale genutzt? Wenn ja, welche?
- Welche Sprech- und Kommunikationsanlässe gibt es?
- Werden die sprachlichen Angebote an das Kind sprachfördernd und sprachverständnissichernd eingesetzt, z. B. handlungsbegleitendes Sprechen?
- Wird Korrektives Feedback eingesetzt?
- Orientieren sich die Bezugspersonen in ihrem Sprachangebot an den Lern- und Sprachvoraussetzungen des Kindes?
- Wurden Gesprächsregeln eingeführt und werden diese umgesetzt?
- Gibt es Möglichkeiten zur Reflexion über Kommunikation, z. B. nach Konflikten?
- Ist es dem Umfeld (Eltern, Kiga,…) wichtig, dass das Kind aus lebensbedeutsamen Kontexten erzählt und ausreichend kommuniziert?
- Wird das Kind als aktive:r soziale:r Interaktionspartner:in angesehen?
- Ist es dem Umfeld wichtig, sprachentwicklungsunterstützende Maßnahmen (z. B. Logopädie) einzusetzen?
- Wird die Sprechfreude des Kindes gefördert?
- Hat das Kind Zugang zu entsprechenden Hilfsmitteln (PC, iPad, Digitale Übertragungsanlage, Talker,…)?

Umweltfaktoren, die besonderen Einfluss auf die Kommunikation in Deutsche Gebärdensprache, über 3-dimensionale Gegenstände, über 2-dimensionale Abbildungen oder über Taktile Gebärden haben, finden Sie in den entsprechenden Arbeitshilfen.


Bestehen Zusammenhänge zwischen verschiedenen Kompetenzbereichen? Wenn ja, welche?

Empirische Ergebnisse aus verschiedenen Studien zeigen, dass es im frühen Spracherwerb einen engen Zusammenhang zwischen Wortschatzerwerb und Grammatikerwerb gibt. So haben Kinder mit einem schnellen Wortschatzerwerb auch einen schnellen Grammatikerwerb. Dies trifft sowohl auf Kinder mit altersgemäßer Sprachentwicklung in verschiedenen Sprachen zu, wie auf Kinder mit verschiedenen Formen genetisch oder hirnstrukturell bedingten Schädigungen (vgl. Szagun 2019). Es ist daher nahe liegend, diesen Zusammenhang so zu interpretieren, dass Wortschatzerwerb und Grammatikerwerb durch den gleichen Mechanismus gesteuert werden (vgl. Szagun 2019).
Der Zusammenhang zwischen Wortschatz und Grammatik wird oft mit dem Effekt der „kritischen Masse“ erklärt, was bedeutet, dass es eine kritische Masse an erworbenem Vokabular braucht, damit der Erwerb von Grammatik in Gang kommen kann (vgl. Szagun 2019).


Literatur

Aktas, M. (2012). Entwicklungsorientierte Sprachdiagnostik und -förderung bei Kindern mit geistiger Behinderung. München: Elsevier-Verlag

Szagun, G. (2019). Sprachentwicklung beim Kind. Weinheim: Beltz-Verlag


Layout und Gestaltung: Christian Albrecht, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg

wsd/kommunikation/hypothesenbildung.txt · Zuletzt geändert: 2024/04/17 20:40 von Romina Rauner