wsd:didaktisierung:1theorie
Impulse zur Gestaltung individueller Bildungsangebote mit Bezug zu relevanten Theorien im Themenfeld biografische Entwicklung
Zitiervorschlag: Gitschier (2024). „Impulse zur Gestaltung individueller Bildungsangebote mit Bezug zu relevanten Theorien im Themenfeld biografische Entwicklung.“ Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:wsd:didaktisierung:1theorie, CC BY-SA 4.0
In der folgenden Tabelle sind relevante Theorien im Themenfeld biografische Entwicklung aufgeführt, aus denen sich Impulse zur Gestaltung individueller Bildungsangebote ableiten lassen.
Bezeichnung Theorie | Impulse zur Gestaltung individueller Bildungsangebote im Themenfeld biografische Entwicklung |
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Emotions-/ Affektregulation | Akute Interventionen Alle Formen, die dazu geeignet sind, Dynamik und Eskalation aus unregulierten Situationen zu nehmen. |
Mentalisierung | Akute Interventionen Unter https://mented.de findet sich ein „Werkzeugkasten“ mit konkreten mentalisierungsförderlichen Übungen und Methoden. Längerfristige Interventionen Das Etablieren einer mentalisierenden Kultur wurde in Twemlow, Fonagy Staco (2005) breit empirisch untersucht und beschrieben. Eine mentalisierende Haltung als Grundlage einer solchen Kultur kann nur systemisch eingeführt werden. Dieser Change-Prozess stellt für einzelne Mitarbeitende eine unter Umständen angstauslösende Veränderung dar, dem mit entsprechenden Fortbildungen, finanziellen Mitteln und veränderten Strukturen begegnet werden muss. Formelle Trainings Ab 2022 werden von Mented.de (https://mented.de), dem Netzwerk für „Mentalisierungsbasierte Pädagogik“, verschiedene formelle Trainings in mentalisierungsbasierter Pädagogik angeboten. |
Risikofaktoren | In der pädagogischen Arbeit mit oder an Vulnerabilitäts- und Risikofaktoren werden die gleichen Ziele verfolgt wie in der Arbeit mit oder an Resilienz- und Schutzfaktoren. Akute Interventionen Aus den längerfristigen Interventionen lassen sich unzählige von akuten Interventionen ableiten. Es wäre aufgrund der oben aufgezeigten Komplexität und Kombinationsmöglichkeiten von Faktoren nahezu vermessen, hier DIE eine konkrete akute Intervention als repräsentativ dazustellen. Längerfristige Interventionen Pädagogische Fachkräfte sollten ihre Zeit mit den Kindern und Jugendlichen nutzen, um mit Ihnen an einem positiven Selbstwertgefühl, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und aktivem Bewältigungsverhalten zu arbeiten. Es ist dabei darauf zu achten, dass es für die jungen Menschen mindestens eine stabile emotionale Beziehung zu einer Bezugsperson gibt. Zu berücksichtigen ist, dass Kinder und Jugendliche, die jahrelang gelernt haben, dass Missachtung, Gewalt und Entwertung mit naher Beziehung assoziiert ist, Nähe und Anerkennung deswegen oftmals abwehren, abwerten, ignorieren oder zerstören müssen. |
Schutzfaktoren | Akute Interventionen Aus den längerfristigen Interventionen lassen sich unzählige von akuten Interventionen ableiten. Es wäre aufgrund der oben aufgezeigten Komplexität und Kombinationsmöglichkeiten von Faktoren nahezu vermessen, hier DIE eine konkrete akute Intervention als repräsentativ dazustellen. Längerfristige Interventionen Pädagogische Fachkräfte sollten ihre Zeit mit den Kindern und Jugendlichen nutzen, um mit Ihnen an einem positiven Selbstwertgefühl, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und aktivem Bewältigungsverhalten zu arbeiten. Es ist dabei darauf zu achten, dass es für die jungen Menschen mindestens eine stabile emotionale Beziehung zu einer Bezugsperson gibt. Zu berücksichtigen ist, dass Kinder und Jugendliche, die jahrelang gelernt haben, dass Missachtung, Gewalt und Entwertung mit naher Beziehung assoziiert ist, Nähe und Anerkennung deswegen oftmals abwehren, abwerten, ignorieren oder zerstören müssen. Formelle Trainings - Lubo aus dem All! - Faustlos |
Sequentielle Traumatisierungsprozesse bei geflüchteten Kindern und Jugendlichen | Akute Interventionen siehe Traumapädagogik Längerfristige Interventionen a) Pädagogik des sicheren Ortes Ergänzend zu den Ausführungen im Text Traumapädagogik werden hier nun flüchtlingsspezifische Überlegungen zu einer Pädagogik des sicheren Ortes aufgeführt. Der Traumatisierungsprozess bei geflüchteten Kindern und Jugendlichen muss aus den Befunden zur sequentiellen Traumatisierung heraus immer auch in der Gegenwart verortet und nicht alleine auf Extremerfahrungen im Herkunftsland und während der Flucht bezogen werden (vgl. Zimmermann, 2012). Demzufolge beinhaltet die Anerkennung der traumatischen Erfahrungen auch die Einordnung der aktuellen Lebensbedingungen als Teil des traumatischen Prozesses. Es bietet sich deswegen an, Kommunikationsräume zu schaffen, in denen u.a. auch das Spannungsverhältnis von Lehrkräften thematisiert werden kann, die einerseits als Repräsentanten des mitunter als Verfolger wahrgenommenen Staates fungieren und die zugleich fürsorglich handelnde Vertrauenspersonen sind. Im Kontext der sozialen und rechtlichen Benachteiligung von geflohenen Kindern und Jugendlichen ist eine professionell-solidarische Haltung der Lehrkräfte Voraussetzung für einen Beziehungsaufbau. Wie die Untersuchungen von Zimmermann (2012) zeigen, können junge Flüchtlinge die Schule häufig auch deswegen nicht als sicheren Ort erleben, da sie selbst eine übersteigerte schulische Leistungsorientierung entwickeln. In ihrer Fantasie hoffen sie, dass gute Schulleistungen ihnen und ihrer Familie eine Aufenthaltserlaubnis und somit die lang ersehnte Sicherheit ermöglichen. Unter diesen Umständen lastet ein sehr hoher Druck auf den Kindern und Jugendlichen, der ein intrinsisch motiviertes Lernen unmöglich macht und einer gelingenden Bewältigung entgegensteht. Wichtig erscheint es, die Institution Schule als einen Raum zu gestalten, der zwar Angebote zu einem aktiven Lernen bereitstellt, der aber immer auch ein Passivsein erlaubt (ebd., 2012). Wenn nötig, sollte es bei extremen psychischen Belastungen möglich sein, den Kindern und Jugendlichen an den Schulen ein „Moratorium“ über längere Zeiträume einzurichten, das fern von gesellschaftlichen und schulischen Anforderungen liegt. siehe dazu auch Traumatheorie b) Unterstützung der Bewältigungsprozesse durch realitätsnahen Unterricht: Das Ziel des realitätsnahen Unterrichts ist es, die Kinder und Jugendlichen zu befähigen, die lebenslagenbedingten Herausforderungen sowohl subjektiv befriedigend als auch sozial verträglich zu bewältigen. Um dies zu erreichen, ist es notwendig die Inhalte der schulischen Bildung unmittelbar auf die spezifischen Lebenslagen der jungen Flüchtlinge mit ihren virulenten, alltäglichen Problemstellungen auszurichten. Durch die Behandlung anstehender Alltagsproblematiken im Unterricht kann auf die An- und Überforderungen in der Alltagsgestaltung reagiert werden. Werden diese Problembereiche durch zielgruppenspezifische inhaltliche und methodische Gestaltung konkret thematisiert sowie diesbezügliches Handlungswissen bzw. -kompetenzen erworben, ist eine Entlastung der psychosozialen Situation zu erwarten, die sich positiv auf die Traumaverarbeitung und die Bewältigungsleistung der geflohenen Kinder und Jugendlichen auswirkt (vgl. Gitschier 2015). Auch in der Arbeit mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen ist es sehr wichtig in die Selbstfürsorge und Verarbeitungsmöglichkeit der pädagogischen Fachkräfte zu investieren. |
Traumapädagogik | Akute Interventionen Kommt es bspw. zu Flashbacks oder Dissoziationen ist ein behutsames Zurückholen in das Hier und Jetzt sinnvoll. Durch Trigger werden abgespaltene Erinnerung aus der/den traumatischen Situation(en) wachgerufen und so erlebt, als würden sie aktuell geschehen (Kanz, 2017). Durch ruhige Ansprache kann auf die Sicherheit des Hier und Jetzt verwiesen werden. Längerfristige Interventionen a) Pädagogik des sicheren Ortes: Zu unterscheiden sind zunächst sichere „äußere“ und sichere „innere“ Orte. Äußerlich sichere Orte werden aktiv „sicher“ gestaltet und zwar hinsichtlich der Organisation und Struktur (z.B. Sitzordnung, Stundenpläne, Rituale, Transparenz, etc.) oder hinsichtlich der bewussten Gestaltung von Interaktionen (z.B. Beziehung als Methode, Klassenklima, Partizipation, etc.). Das Aufsuchen eines sicheren inneren Ortes meint, aufkommende Stresssituationen in Form von Triggern rechtzeitig zu identifizieren, um sich durch eingeübte Imaginationen und dem damit verbunden Aufsuchen eines sicheren, imaginären inneren Ortes z.B. vor Flashbacks zu schützen. b) Pädagogik der Selbstermächtigung: Gemeint ist hier neben der Unterstützung zur Sensibilisierung der Wahrnehmung, um aufkommenden Stress früh zu erkennen z.B. das Einüben ritualisierter Handlungen (Kaugummi kauen, einen Gegenstand fokussieren, etc.) zur Stressüberwindung. Das Prinzip der Mitbestimmung und die Möglichkeiten zur Selbstwirksamkeitserfahrung sind in diesem Konzept ebenso bedeutsam. c) Pädagogik des guten Grundes: Hier geht es insbesondere um die Haltungsdimension im Umgang mit traumatisierten Menschen und der damit verbundenen nicht-richtenden Akzeptanz des subjektiv als sinnvoll erlebten Verhaltens. Es ist darüber hinaus sehr wichtig in die Selbstfürsorge und Verarbeitungsmöglichkeit der pädagogischen Fachkräfte zu investieren. Formelle Trainings Es gibt sehr differenzierte Fortbildungen in Traumapädagogik, diese werden z.B. von der Deutschen Gesellschaft für Psychotraumatologie zertifiziert: https://www.degpt.de/ institute-traumapaedagogik.pdf |
Layout und Gestaltung: Christian Albrecht, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg
wsd/didaktisierung/1theorie.txt · Zuletzt geändert: 2024/10/10 16:50 von Romina Rauner