Persönlichkeitstheorie: "Big Five" Modell
Zitiervorschlag: Gingelmaier, S. (2020). „Persönlichkeitstheorie: „Big Five“ Modell“. Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:verhalten:theorien_verhalten:persoenlichkeitstheorie, CC BY-SA 4.0
Kurzbeschreibung | Die „Big Five“ (oder englisch auch OCEAN-Model) „beschreiben fünf unabhängige Dimensionen, aus denen sich ein wesentlicher Teil der alltagspsychologisch repräsentierten Eigenschaften reproduzieren lässt.“ (Asendorpf, 2005, S. 148). Heute haben sich folgende Begriffe durchgesetzt (Schmitt & Altstötter-Gleich, 2010): Offenheit (Openness: Offenheit für Erfahrungen, tolerant, neugierig, interessiert), Gewissenhaftigkeit (Conscientiousness: Gewissenhaftigkeit, pflichtbewusst, ordnungsliebend, systematisch), Extraversion (Extraversion: gesellig, gesprächig, abenteuerlustig), Verträglichkeit (Agreeableness: beliebt, freundlich) und Neurotizismus (Neuroticism: angespannt, ängstlich, unsicher, nervös). Die Big Five „gelten (…) nach wie vor (…) als die optimale Antwort auf die Frage, wie man alltagspsychologisch beschriebene Persönlichkeitsunterschiede mit möglichst wenigen Dimensionen möglichst differenziert beschreiben kann.“ (Asendorpf, 2005, S. 147). Vorteile dieser Theorie sind, dass sich alle Personen mithilfe des Fünffaktorenmodells beschreiben lassen. Durch zusätzliche Koordinaten, die den Unterpunkten der „Big Five“ entsprechen, kann man die Beschreibung der Personen noch differenzierter darstellen (Asendorpf, 2005). „Gleichzeitig lassen sich viele andere Persönlichkeitsdimensionen als Kombinationen der Big Five (oder ihrer Unterfaktoren) darstellen.“ (Asendorpf, 2005, S. 149). Ein Nachteil ist, dass die Big Five „nicht alle Eigenschaften der naiven Persönlichkeitstheorie [umfassen], vor allem nicht Einstellungen und Werthaltungen, gesundheits- und sexualitätsbezogene Eigenschaften und Eigenschaften, die stark sozial erwünscht oder unerwünscht sind,“ (Asendorpf, 2005, S. 148). |
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Kürzel | Faktor | schwach ausgeprägt | stark ausgeprägt | ||
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sehr schwach | schwach | sehr stark | stark | ||
O | Offenheit für Erfahrungen | übervorsichtig, unflexibel | konservativ, vorsichtig | erfinderisch, neugierig | beliebig, waghalsig |
C | Gewissenhaftigkeit | nachlässig, chaotisch | unbekümmert | effektiv, organisiert | überreglementierend |
E | Extraversion (nach außen gewandte Haltung) | übervorsichtig, unflexibel | konservativ, vorsichtig | erfinderisch, neugierig | beliebig, waghalsig |
A | Verträglichkeit | streitlustig | wettbewerbsorientiert, antagonistisch | kooperativ, freundlich, mitfühlend | konfliktscheu |
N | Neurotizismus (z.B. Anspannung, Ängstlichkeit, Unsicherheit, Nervosität) | gefühlskalt | selbstsicher, ruhig | emotional, verletzlich | überempfindlich |
Tabelle 1: OCEAN-Model oder Big Five, schwache und starke Ausprägungen der Faktoren
Wie kann die Theorie beim Erklären von Verhalten helfen? | „Die Big Five sind auch geeignet, Persönlichkeitsunterschiede von Kindern und Jugendlichen zu beschreiben.“ (Asendorpf, 2005, S. 148). Diese relativ simple, einleuchtende und gut evaluierte Persönlichkeitstheorie taugt ohne Weiteres als Grundlage für reflexive pädagogische Gespräche über Verhalten und Persönlichkeitsmerkmale - wohlgemerkt immer als Quelle für die Formulierung von Hypothesen. Die Ableitung einer Persönlichkeits-Charakteristik durch die Nutzung der „Big Five“ ist selbstverständlich nicht möglich. |
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Grenzen | Es muss nachdrücklich davor gewarnt werden, dass über diese Theorie eine menschliche Persönlichkeit in ihrer Komplexität und immerwährenden Veränderbarkeit festgeschrieben wird. Diese Gefahr ist in überfordernden und stresshaften Situationen und Organisationen sehr real. Sobald eine Persönlichkeitstheorie von sich oder der (fall-)spezifischen Anwendung behauptet, dass sie Menschen „durchschaut“ oder abbilden kann, hat sie sich darüber selbst disqualifiziert. Das Leben selbst ist und bleibt immer größer, individueller und veränderbarer als jede Erklärtheorie. |
Diagnostische Fragen im Zusammenhang mit der Theorie | - Wie sind Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus bei einem Kind ausgeprägt? - Wie kann diese Ausprägung biografisch, entwicklungspsychologisch oder situativ verstanden werden? - Wie können diese Ausprägungen der Kategorien und das fallspezifische Verstehen in Verbindung mit (schwierigem) Verhalten gebracht werden? |
Konkrete diagnostische Methoden im Zusammenhang mit der Theorie | Es liegen bisher noch keine konkreten diagnostischen Methoden für die Pädagogik vor. Der Einsatz von Persönlichkeitstests in der Pädagogik ist aus testtheoretischen und ethischen Gründen grundsätzlich umstritten. Die vorhandenen Forschungsinstrumente und diagnostischen Methoden beziehen sich auf die Persönlichkeitspsychologie. |
Impulse für die Gestaltung individueller Bildungsangebote | Akute Interventionen: Der psychosozialen Idee von Persönlichkeit ist mit akuten, losgelösten Interventionen nicht gerecht zu werden. Längerfristige Interventionen Die Leitfrage lautet: Können Bildungs- und Erziehungsangebote arrangiert werden, die Kinder und Jugendliche bei Schwierigkeiten in einer der genannten OCEAN-Kategorien unterstützen können? Eventuell ließen sich aus den diesbezüglichen Überlegungen auch Formen akuter Interventionen ableiten |
Literatur
Stemmler, G., Hagemann, D., Amelang, M., Bartussek, D. (2011). Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung (7., vollständig überarbeitete Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.
Asendorpf, J. B. (2005). Psychologie der Persönlichkeit (3.Aufl.). Heidelberg: Springer.
Schmitt, M., Altstötter-Gleich, C. (2010). Differentielle Psychologie und Persönlichkeitspsychologie. Weinheim, Basel: Beltz.
Pervin, L. A., Cervone, D., John, O. P. (2005). Persönlichkeitstheorien (5. Aufl.). München: Reinhardt UTB.
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