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Digitale (Neue) Medien

Zitiervorschlag: Rieß, A. (2020). „Digitale (Neue) Medien“. Abgerufen von URL https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:verhalten:theorien_verhalten:digitale_medien, CC BY-SA 4.0

Kurzbeschreibung Der Alltag von Kindern und Jugendlichen ist untrennbar mit der Nutzung und der Einflussnahme durch digitale Medien verbunden. In Schule und Freizeit werden das Informationsnetz und die Kommunikationsmöglichkeiten genutzt. Für die Kinder und Jugendlichen ist es unverzichtbar, Kompetenzen im Umgang mit den Medien zu entwickeln. Die Grundvoraussetzung zu dieser Teilhabe wird als „Medienkompetenz“ (Baacke 1996; Groeben 2004) bezeichnet. Auch wenn die aktuell jüngere Generation als sogenannte „digital natives“ (Prensky 2001) mit digitalen Medien aufwächst, so müssen die Anwendung der Tools, die Verwendungsformen und Interessen der jeweiligen Anbieter verstanden und das Hinterfragen von Informationen und deren Nutzen, sowie das Wissen über Gefahren und Fehlformen der Kommunikation, der Informationsbeschaffung und Verbreitung aufgebaut und geübt werden. Anders gewendet: Fehlende Medienkompetenzen können zu Fehlformen der Mediennutzung führen und damit ein Risiko für Lernen und die Sozialisierung sein. In der Folge kann auffälliges Verhalten beschrieben und wahrgenommen werden.
Neben den Gefahren ermöglichen die neuen Medien selbstverständlich auch eine Vielzahl an positiven Nutzungsmöglichkeiten. Hierzu gehören insbesondere der Zugriff zu vielfältigen (Fach-) Informationen, die weltweite Kommunikation, der Nutzen von digitalen Dienstleistungen und Möglichkeiten der (künstlerischen) Selbstverwirklichung (Porsch/ Pieschl 2014). Medien bilden bei kompetenter Nutzung echte Chancen für eine positive Lernentwicklung und sie tragen im Optimalfall zur gesellschaftlichen Teilhabe des Individuums bei.
Einige Zahlen: Jugendliche im Alter von 12 bis 25 Jahren sind im Schnitt fast 4 Stunden pro Tag im Internet. Dabei ist das Smartphone der wichtigste Zugang zum Internet (Shell Studie 2019).
Die Veränderungsdynamik in der Mediennutzung zeigt sich in folgender Tabelle:

Freizeittypologien (Shell Studie 2019) „Was machst du üblicherweise in der Freizeit?“

2015 (in%)2019 (in %)
Musik hören5557
Im Internet surfen5250
Videos, Filme, Serien anschauen1545
Soziale Medien nutzen (Facebook, Twitter, …)3634
Fernsehen4933
An der Spielekonsole oder am Computer spielen2323
Wie kann die Theorie beim Erklären von Verhalten helfen?Im Zusammenhang von auffälligem Verhalten und der Nutzung digitaler Medien werden fünf Risikobereiche benannt (Eichenberg & Kühn 2014):
- Exzessive Nutzungsweise (z.B. Internetsucht)
- Dysfunktionale Nutzungsweisen (z.B. Informationsüberflutung, Cyberchondrie)
- Selbstschädigende Nutzungsweisen (z.B. Suizid- Foren, Ritzer Seiten)
- Deviante Nutzungsweisen (z.B. Cybermobbing und Stalking, sexuelle Gewalt)
- Jugendgefährdende Inhalte (z.B. politischer Extremismus)
Zur Ordnung des thematischen Gesamtkomplexes schlagen Porsch & Pieschl (2014) folgende Systematisierung vor:
1. Wirkung von Werbung
2. Cybermobbing/ Cyberbullying
3. Sexuelle Belästigung/ Sexuelle Gewalt im Internet
4. Gewalthaltige Videospiele
5. Computerspiele und Internetabhängigkeit

6. Online Foren für Menschen mit selbstschädigendem Verhalten

1. Wirkung von Werbung
Information und Statistik
- Werbung wirkt über klassisches oder operantes Konditionieren durch Beobachtungslernen
- Stufenmodell der Werbewirkung: Werbung wirkt durch drei Prozesskomponenten – Kognitiv (learn), konativ (do), affektiv (feel) (Meister & Sander 1997)
- Das Verständnis der Wirkung von Werbung hängt mit den entwicklungspsychologischen Grenzsteinen und der Intelligenz zusammen.
- 68% der Erstklässler geben an, Werbung zu mögen – 5. Klässler nur noch zu 25% (Robertson, Rossiter 2001)
- Kinder verbringen ¾ der Mediennutzungszeit bei Medien mit häufiger Werbung. (Diergarten, Nieding, Ohler 2014)
(Aus) Wirkung
Werbung wirkt nicht direkt. Der Grad der Wirkung von Werbung ist von sogenannten „Moderatorenvariablen“ abhängig (Loth 2011). Gemeint ist damit der sozioökonomische Status, innerfamiliäre Gespräche, Geschlecht, Alter, Medienkompetenz, sowie Peergroup und deren Einstellung zu verschiedenen Marken.
- Eltern-Kind-Konflikte entstehen durch quengeln
- Trauer des Kindes über nicht Befriedigung von Wünschen
- gesteigerte materialistische Einstellung
- verändertes Essverhalten, insbesondere Wahl von eher ungesunden Produkten
- eher übergewichtige Kinder in einer Gesellschaft (Zimmermann, Bell 2010)

2. Cybermobbing/ Cyberbullying
Information und Statistik
Definition: Cybermobbing sind alle Formen von Schikane, Verunglimpfung, Identitätsklau, Verrat und Ausgrenzung mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologie, bei denen sich das Opfer hilflos oder ausgeliefert fühl. Oder bei denen es sich voraussichtlich so fühlen würde, falls es von diesen Vorfällen wüsste. (vgl. Pieschl, Porsch, 2012)
- - Es gibt bei Mobbing und Cybermobbing eine Koinzidenz. Bei Mobbing und Cybermobbing geht es häufig um die gleichen Opfer und Täter (Gradinger, Strohmeier, Spiel 2009)
- konventionelles Mobbing ist ein signifikanter Risikofaktor für Cybermobbing (Kowalski, Morgan, Limber 2012)
Risikofaktoren auf der Seite der Täter:
- Langeweile und den Drang nach Abwechslung,
- Abreagieren von Wut und Ärger an anderen,
- Kompensation eigener Schwächen, Angst und Ohnmachtsgefühle durch Abwertung anderer,
- eigene Unzufriedenheit in der Schule (Freundschaften, Leistung),
- Weitergabe erlebten Unrechts (z. B. Gewalt in der Familie) an andere,
- mangelnde Konfliktfähigkeit
- Interesse an Machtausübung und Kontrolle über andere,
- Wunsch nach Anerkennung in der Klasse
- persönliche Motive wie Konkurrenz, Neid, Fremdenfeindlichkeit u.a.,
eigene Erfahrungen als Mobbingopfer,
Unpassendes Machtverhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern/ Jugendlichen.
Risikofaktoren auf Seite der Opfer:
- geringes Selbstwertgefühl
- körperlich schwach,
ängstlich, überangepasst und unsicher,
- zu den empfindsamen und stellen Persönlichkeiten gehören,
- erregbar, aggressiv und wenig anpassungsbereit,
von der Klassennorm abweichende Merkmale besitzen (z.B. Hautfarbe, Behinderung, Gewicht, Kleidung),
- als Außenseiter/-in, „Streber/-in“, „Neuling“ in der Klasse eingeordnet werden,
- etwas besitzen oder tun, das Sozialneid hervorruft (z.B. teure Kleidung, aufwendiges Hobby, neue technische Geräte) oder
- Konfliktvermeidendes Verhalten oder Überanpassung in der Familie.
Mobbing und Cybermobbing haben gemeinsame Risikofaktoren. Cybermobbing bietet hingegen keinen Schonraum (Informationen lassen sich kaum entfernen). Eine genaue Prävalenz von Cybermobbing kann Aufgrund von unterschiedlichen Definitionen und Untersuchungsansätzen nicht benannt werden. Ca. 20% - 40% der Jugendlichen sind „alle paar Monate“ von Cybermobbing betroffen (Tokunga 2010, Katzer et al. 2009a)
(Aus-) Wirkung
- Großteil der Opfer von Cybermobbing berichtet über deutlich negative emotionale Folgen. (68% erleben Wut, 22% erleben sich verzweifelt, 17% können schlecht schlafen, 7%-8% leiden unter Kopf und Bauchschmerzen, 4% der Opfer gehen nicht mehr zu Schule, 9% berichten, dass sie Freunde meiden)
- Opfer von Cybermobbing haben mehr Schwierigkeiten bei der sozialen Anpassung in Gruppen, verhalten sich häufiger delinquent und konsumieren häufiger Drogen (Tokunga 2010, Ybarra, Mitchell 2004), können sich schlechter konzentrieren, zeigen schlechtere schulische Leistungen (Beran et al. 2012), müssen häufiger nachsitzen
- Opfer von Cybermobbing besitzen weniger Selbstbewusstsein, zeigen mehr depressive Symptome, mehr soziale Ängste, mehr suizidale Gedanken und weisen mehr affektive Störungen aus (Ybarra 2004, Ybarra, Mitchell 2004)
- Täter von Cybermobbing zeigen häufig ein niedriges Selbstbewusstsein, häufig suizidale Gedanken, mehr hyperaktive, depressive und psychosomatische Symptome, zeigen ein stärkeres delinquentes Verhalten und häufigeres Versagen in der Schule (Hinduja, Patchin 2010; Ybarra, Mitchell 2004)

3. Sexuelle Belästigung/ Sexuelle Gewalt im Internet
Information und Statistik
Formen der sexuellen Gewalt für Kinder und insbesondere im Jugendalter nach Eichenberg, Malberg (2011):
Sexting: Austausch von Bildern mit sexuellen Inhalten und Gefahr der Erpressung und Bloßstellung
- 15 bis 40% (abhängig von der Altersgruppe) aller Jugendlichen praktizieren Sexting (Ringrose, Gill, Livingsstone, Harvey 2012)
- 75% der Befragten kannten jemanden, der erotische Bilder von sich in Umlauf gebracht hat (ORF-Rat auf Draht 2013)
Grooming: Kontaktaufnahme Pädophiler Mensch zu potentiellen Opfern über Foren und instant Messaging, wie WhatsApp usw.
- 50% aller Befragten (auch Erwachsene) einer Studie gaben an sich mit jemanden, den sie aus einem Chatroom kannten, getroffen zu haben (Katzer, Fechthauer 2007)
Mutproben, indem pornographische Seiten oder Extremdarstellungen von Genitalverstümmelung angeschaut werden.
Geldangebote für sexuelle Handlungen an sich, oder für Bilder von anderen in Badeanzug oder Unterwäsche.
Erstellung und Verbreitung von Kinderpornographie
Cyberstalking
Konfrontation mit pornographischen Produkten
Sexuelle Viktimisierung über Videoplattformen
(Aus-) Wirkung
Sexuelle Gewalt im Internet hat u.a. aus psychotraumatischer und entwicklungspsychologischer Sicht Folgen:
- Dauerhafte emotionale Belastung (Katzer 2011)
- Behinderung phasenspezifischer Entwicklungsaufgaben von Kindern und Jugendlichen (Eichenberg, Roffler, Wutka 2011), z.B. Akzeptanz des eigenen Körpers wird durch erotisch-pornographische Konfrontation mit Idealkörper erschwert, z.B. unpassende Vorbilder von Geschlechterrollen, z.B. begrenzt die Beziehungsentwicklung zu Peers beiderlei Geschlecht durch emotionale Verwirrung
- 2/3 der viktimisierten Mädchen gaben an, sexuelle Belästigung als unangenehm erlebt zu haben (46% waren wütend, 20% frustriert, 16% waren verletzt und verängstigt, 12% fühlten sich niedergeschlagen (Katzer, Fechtenhauer 2007)
- 14% der Betroffenen denken häufig an das Erlebte zurück, 9% fühlen sich auch langfristig stark belastet (Eichenberg, Malberg 2011).

4. Gewalthaltige Videospiele
Informationen und Statistik
2011 betrug der Anteil an Spiele die von USK für ab 16 oder ab 18 getestet wurden 20,7%. Shooter machen einen Anteil von 5,3% aus. 68% der Spiele kommen Gewalt vor (Smith, Lachman, Tamborin 2003)
Videospiele werden von Nutzer:innen ausgewählt…
- zur Geselligkeit und Bekämpfung von Langeweile,
- aufgrund eines Flow-Erlebens während des Spiels,
- mit dem Wunsch nach Entspannung,
- mit dem Wunsch nach Flucht aus dem Alltag,
- zur Stimmungsregulation,
- aufgrund der Möglichkeit des Eingreifens und Gestaltens,
- um Selbstwirksamkeit zu erleben,
- neuen Identitäten auszuprobieren,
- um sich Herausforderungen zu stellen,
- um sich zu einer Gruppe zugehörig fühlen,
- um direkte Belohnung („Guter Schuss“) zu bekommen.
(Aus-) Wirkung
Aktuell gibt es eine uneinheitliche Forschungslage wie gewalthaltige Spiele wirken. So nimmt z.B. Anderson et al. (2012) an, dass Spielerinnen und Spieler von gewalthaltigen Videospielen aggressiver denken, fühlen, handeln. Gewaltvorfälle an Schulen können jedoch nicht allein mit Gewaltspiele in Verbindung gebracht werden (Virginia Tech Review Panel 2007). Personen mit einem eher aggressiveren Naturell wählen lieber Gewaltspiele. Gleichzeitig wird auf den Wirkungseffekt von Gewaltspielen hingewiesen, so dass von einer Wechselwirkung ausgegangen wird. Gewaltspiele sind ein Risikofaktor für aggressives Verhalten (Gentil, Bushman 2012).
Die meisten Studien legen nahe, dass es einen Zusammenhang zwischen gewalthaltigen Videospielen und verschiedenen Dimensionen der Aggression gibt. „Der Konsum gewalthaltiger Spiele scheint jedoch weder ein notwendiger noch ein hinreichender Faktor zur Entstehung von aggressiven Verhalten zu sein.“ (Happ, Melzer, Steffgen 2016)
- Bedeutsam für die Wirkung eines Gewaltspiels und das anschließende Verhalten scheinen die moralischen Bewertungen der Inhalte zu sein. (Gollwitzer Melzer 2012)
- Gewaltspiele fördern aggressive Gedanken, ärgerliche Gefühle und steigern Herzrate und Blutdruck. Empathie und Hilfeverhalten werden reduziert (Anderson et al. 2011)
- Nach dem Spielen gewalthaltiger Spiele kann eine größere Bereitschaft gemessen werden Anderen Schaden zu zufügen (Whitaker, Melzer, Steffgen, Bushmann 2013)
- Kurzfristig treten nach Spielen aggressive Gedanken auf, die unter Umständen zu aggressiven Verhalten führen können (Anderson, Carnagey 2009)
- Gewaltspiele führen auch häufig zu Gefühlen der Angst (Ballard, Wiest 1996)
- Die desensibilisierende Wirkung von Gewaltspiele im Sinne einer Reduzierung der physiologischen Reaktion auf Gewaltinhalte ist belegt. (Bartholow, Bushmann, Setir 2006)

5. Computerspiele und Internetabhängigkeit
Informationen und Statistik
Der belohnende Charakter und die ständige Verfügbarkeit kann bei einigen Kindern und Jugendlichen zu einem zunehmend psychopathologischen Symptomenkomplex führen, die Ähnlichkeiten zu klassischen Suchterkrankungen aufweist. Das Internet- bzw. Computerspielnutzungsverhalten der Betroffenen zeigt Symptome einer psychischen Abhängigkeit.
1. Abhängigkeit von Internetpornografie
2. Abhängigkeit von Onlinebeziehungen
3. Abhängigkeit von monetären Angeboten wie Glücksspiel, Auktions- und Shoppingseiten
4. Ein abhängiges Surfen und Recherchieren
5. Abhängigkeit von Online-Spielen
6. Abhängigkeit von Offlinespielen
- Zwischen 0,9% und 1,7 % der Schüler werden als computerspielabhängig klassifiziert (Rehbein, Kleinmann et al. 2010)
- Weitere 3,7% werden als problematisch spielend ausgewiesen (Festl et al. 2013)
Risikofaktoren für Computerspiel- und Internetabhängigkeit:
- männlich
- Eine erhöhte Impulsivität (Collins, Freeman, Chamarro-Premuziv 2012)
- Erhöhte Gewaltakzeptanz (Grüsser, Thalemann 2007)
- Eine geringere sozial Kompetenz (Festl et al. 2013)
- Geringere Empathie (Parker, Taylor, Eastabrook, Schell, Wood 2008)
- Vermindertes Selbstkonzept und Selbstvertrauen (Lemmens et al. 2011)
- Mangel an Erfolgserlebnissen in der realen Welt
- Schulbezogene Ängste
- Zurückliegende Klassenwiederholung
- Geringe elterliche Unterstützung
- Eltern, die ebenfalls viel spielen
- Erhöhte soziale Einsamkeit
- Probleme in der Peergroup insbesondere beim Übergang 5. und 6. Klasse
- Bzgl. des Bildungshintergrund ist die Datenlage noch nicht eindeutig.
- Hohe Spielzeiten bilden ein erhöhtes Risiko zur Computerabhängigkeit
- Online Rollenspiel und etwas eingeschränkter Strategie- und Shooter-Spiele (Rehbein 2013)
- Welche Spielstrukturellen Merkmale bedeutsam sind ist noch nicht abschließen geklärt. Belohnungsvergabe spielt wahrscheinlich eine große Rolle.
- Wenn eine Kompensation von negativen Gefühlen durch das Spiel erfolgt. (Batthyany et al 2009)
- Erfolgreiche Stressregulation mit dem Computerspiel
(Aus-) Wirkung
Leistungsbezogene Auffälligkeit
- Nach eigenen Angaben können Computerspielabhängige ihre Aufgaben in der Schule schlechter bewältigen (Kiddo-KINDL; Ravens-Sieberer, Billinger 2000)
- machen sich häufiger Sorgen um die Zukunft
- haben häufiger Angst vor schlechten Noten
- können sich schlechter im Unterricht nach eigener Einschätzung schlechter konzentrieren (Batthyany, Müller, Benker, Wölfling 2009)
- Computerspielabhängige Jugendliche haben eher eine negative Einstellung zu Schule. Gehen weniger gern zu Schule (Mößle 2012)
- Computerspielabhängige Jugendliche schwänzen häufiger die Schule (Baier, Rehbein 2010). ¼ der Jugendlichen berichtet Schule zu schwänzen, um Computer spielen zu können.
- Computerspielabhängige Jugendliche haben signifikant schlechtere Noten in den Fächern Deutsch, Mathematik, Geschichte und Sport. Eine Wechselwirkung zwischen schulischer Leistung und Computerspielverhalten kann beschrieben werden.
Gesundheitsbezogene Beeinträchtigung
- Computerspielabhängige Jugendliche zeigen sich psychisch belasteter und weniger lebenszufrieden (Festl et al. 2013)
- Ein Großteil der betroffenen der betroffenen Schüler erleben eher starke bis starke Beeinträchtigungen im Bereich Freizeit (57%), Wohlbefinden (50%), Soziales (41%), Familie (34%)
- Jugendliche die als computerspielsüchtig klassifiziert werden, empfinden sich häufig selbst als süchtig nach Computerspielen.
- Computerspielabhängige Jugendliche erleben einen erhöhten psychosozialen Konflikt
- Schlafzeit ist durch das Computerspiel reduziert (Rehbein, Mößle 2013)
- Jeder fünfte Computerspielabhängige Jugendliche berichtet über erhebliche Einschlafschwierigkeiten
- 13% der Computerspielabhängigen Jungen und 43% der Computerspielabhängigen haben häufiger suizidale Gedanken
- Computerspielabhängige Jugendliche sind im erhöhten Maße von weiteren psychischen Erkrankungen, eher als Folge denn als Ursache von Computerspielabhängigkeit, betroffen. Hierzu gehören Depression, Angstneigung (Gentil et al. 2011)
- Insbesondere eine Komorbidität zu ADHS wird als wechselseitige Verstärkung beschrieben.

6. Online-Foren für Menschen mit selbstschädigendem Verhalten
Informationen und Statistik
Menschen mit selbstschädigendem Verhalten erhalten durch die digitalen Medien eine Vielzahl von unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten:
- Medium zur Information
- Medium der synchronen und asynchronen Kommunikation
- „One to one“-Kommunikation oder „one to many“-Kommunikation
- Medium, um Öffentlichkeit her zu stellen, z.B. Blogs, Hompages, Youtube.
- Ca. 50% der Forennutzer haben oder hatten bereits Psychotherapie (Eichenberg 2014)
- Nutzer suchen die Seiten auf, um in der wesentlichen emotionalen Unterstützung zu bekommen.
- Die Gruppen haben meistens eine Etikette gegen Ratschläge zur Aufrechterhaltung der Erkrankung und gegen die Unterstützung von selbstschädigendem Verhalten.
Folgende Foren werden besucht, um die eigene Krankheit weiter zu kultivieren:
- Suizidforen
- Foren zu selbstverletztendem Verhalten
- Pro-Ana Foren (Anorexi-Foren)
(Aus-) Wirkungen
Chancen
- Therapeutischer Wert: Online Selbsthilfegruppen werden als therapeutisch wertvoll erlebt (Mandara, White 1997, zitiert nach King, Moreggi), wenn parallel Einzel- oder Gruppentherapie stattfand.
- Isolierung entgegenwirken: Online-Selbsthilfegruppen ermöglichen den sozialen Austausch ohne Stigmatisierung (Eichenberg 2014).
- Kollektives Wissen: Die Größe einer Gruppe ermöglicht eine große Menge an verfügbarem Wissen.
- Motivation und professionelle Hilfe: Kann ermutigen sich Hilfsmöglichkeiten vor Ort zu suchen.
- Unabhängig von Zeit und Ort: Für Krisenzeit ist eine zeitliche Flexibilität möglich. Das Haus nicht verlassen zu müssen kann ebenfalls zunächst hilfreich sein und bietet Sicherheit und Schutz.
- Unabhängigkeit von den Eltern: Die Foren ermöglichen eine Auseinandersetzung und Kommunikation mit Anderen, wodurch ein Entwurf eines eigenen Lebensstils gefördert wird.
- Enttabuisierung: Die Themen und Erkrankungen werden durch die digitalen Medien öffentlich und können damit Teil der gesellschaftlichen Diskussion werden.
Risiken
- Heikle Selbstoffenbarung: Anonymität erleichtern Selbstäußerungen. Unsensible Reaktionen oder missverstandene eigene Anliegen können zu Enttäuschung und Abwehr führen und somit womöglich zu einer Verschlechterung des eigenen Zustands. (Eichenberg 2016)
- Überforderung: Nutzer können sich durch die Probleme anderer Betroffener überfordert fühlen. (Eichenberg 2014)
- Begrenzte kommunikative Bandbreite: Online-Selbsthilfegruppen nutzen meist „asynchrone Dienste“. Die dadurch entstehende zeitversetze Kommunikation können in akuten Krisenzeiten belastend sein. Nonverbale Hinweisreize fehlen für eine vertiefende Interaktion. (Eichenberg 2014)
- Krankheitsfördernde oder erhaltende Wirkung: Die Möglichkeit sich ohne das Haus zu verlassen begegnen und kommunizieren zu können stütz z.B. Sozial-Phobiker in ihrer Krankheit. Sich virtuell weniger isoliert zu fühlen verringert den Leidensdruck, etwas ändern zu müssen. Die Gruppendynamik in den digitalen Gruppen kann zur Verstärkung und Erhalt der Symptomatik beitragen. (Eichenberg 2014)
- Erschwert Gemeinschaftsbildung: Die Bildung einer Gemeinschaft dauert durch die Anonymität länger, erhöht die Fluktuation von Mitgliedern und ermöglicht aggressive und sozial unangepasste Äußerungen.
- Foren, die förderliche Kriterien nicht erfüllen: Foren die keine Hinweise auf therapeutische Möglichkeiten enthalten, Foren die z.B. Essstörungen nicht als Krankheit anerkennen, Foren die einen destruktiven Umgangsformen mit der Erkrankung einfordern, Foren die Aufnahmekriterien, wie z.B. BMI haben können sich eher negativ auf die Symptomatik auswirken.
Grenzen Die Medienform an sich und die Nutzungsformen verändern sich durch neue Angebote, veränderte Vorlieben und Trends bei Kindern und Jugendlichen sehr schnell. Die Forschungslage ist somit nicht immer aktuell. Die hier beschriebenen Daten sind wissenschaftlich gesehen eher als lückenhaft zu bewerten (Pieschl, Porsch 2014).
Kausalitäten zwischen dem erlebten Verhalten und der Mediennutzung zu beschreiben wäre fallspezifisch auch mit entsprechenden Forschungsergebnissen kaum möglich. Die Auswahl der Medien, die Formen der Nutzung von Kindern und Jugendlichen und die Einflussnahme der Medien sind Teil deren Lebenswirklichkeit. Somit gilt es die Informationen aus den unterschiedlichen Themenfeldern in Bezug zueinander setzen, um damit den Nutzen der Medien oder die Auswirkung von Nutzungsgewohnheiten der Medien fallspezifisch verstehen zu können.
Der öffentliche Diskurs bzgl. der Wirkung von Medien auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist häufig geprägt durch Glauben, Meinungen und populärwissenschaftliche Berichterstattung (Pieschl, Porsch 2014). Nicht selten führen diese zu falschen Annahmen und Reaktionen.
Diagnostische Fragestellungen im
Zusammenhang mit der Theorie
- Welche Medien werden ausgewählt und wie oft und lang werden diese genutzt?
- Mit welchem Ziel wird das Medium ausgewählt?
- Wie wirkt sich die Nutzung des Mediums auf den Alltag aus?
- Wie nutzt das Umfeld die digitalen Medien?
- Wie ist die Medienkompetenz zu bewerten? (Anwendung, reflektierter Umgang, …)
Konkrete diagnostische Methoden im
Zusammenhang mit der Theorie
Für die konkrete Diagnostik werden vor allem informelle Beobachtungen und Interviews empfohlen. Wenn eine krankhaft anmutende Symptomatik beobachtet wird, gilt es medizinisches Fachpersonal zu konsultieren. Da die Nutzung von digitalen Medien häufig im privaten Rahmen erfolgt, müssen Erzählungen der Kinder und Jugendlichen sowie der Eltern mit eigenen Beobachtungen und der eigenen Intuition verknüpft werden.

Literatur

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Albert, M., Hurrelmann, K.; Quenzel, G. (2019). Jugend 2019 Eine Generation meldet sich zu Wort. Weinheim Basel

Eichenberg, C., Auersperg, F. (2018). Chancen und Risiken digitaler Medien für Kinder und Jugendliche. Ratgeber für Eltern und Pädagogen. Göttingen

Eichenberg, C., Malberg, D. (2011). Sexualität und Internet: Zwischen Hilfsangeboten und virtuellen Überschriften für die psychotherapeutische Praxis. Psychotherapeut 2, 177-190 DOI: 10.1007/s00278-012-0894-z

Eichenberg, C. Roffler, R., Wutka, B. (2011). Internet und Selbsthilfe im Jugendalter: Potenziale und Gefahren aus psychologischer Perspektive. Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft und Psychologische Medizin, 4, 67-81.

Eichenberg, C. (2014). Online Foren mit selbstschädigenden Problematiken. In: Neue Medien und deren Schatten; Mediennutzung, Medienwirkung und Medienkompetenz. (S. 245 – 272) Göttingen

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wsd/verhalten/theorien_verhalten/digitale_medien.txt · Zuletzt geändert: 2024/10/16 11:35 von Romina Rauner