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Bedürfnisse, Motive und Motivation
Zitiervorschlag: Gingelmaier, S. (2020). „Bedürfnisse, Motive und Motivation“. Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:verhalten:theorien_verhalten:beduerfnisse, CC BY-SA 4.0
Kurzbeschreibung | Zunächst sollen die drei Begriffe kurz definiert werden: Bedürfnis ist psychologisch definiert ein Zustand oder Erleben eines Mangels, verbunden mit dem Wunsch ihn zu beheben (Dorsch). Motive sind einzelne, isolierte Beweggründe menschlicher Verhaltensbereitschaft. (Becker, 2019, S.19). Motivation ist die Richtung, Intensität und Ausdauer einer Verhaltensbereitschaft hin zu oder weg von Zielen. (Becker, 2019, S.19). |
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Wie kann die Theorie beim Erklären von Verhalten helfen? | Man kann zwischen bewussten und eher unbewussten Motiven und Motivationen unterscheiden. (Unbewusste) Motive können zusammengenommen eine (unbewusste) Motivation maßgeblich prägen. Auch die Begriffe Motiv und Bedürfnis sind eng miteinander verbunden. Sie werden zum Teil mehr oder weniger synonym verwendet (Maslow, 1954 oder McClelland 1961). Bedürfnisse sind als Mangelempfinden an etwas definiert (z.B. Durst als Mangel an Flüssigkeit) und daher weniger „breit“ als Motive. So ist das Vermeiden von Schmerz zwar ein wichtiges Motiv aber kein Bedürfnis. Bedürfnisse sind also eine spezifische Art von Motiven – und zwar die mit Mangelempfinden als Basis. (Becker, 2019, S.19). In der Pädagogik wird das Bedürfnis aber anders als in der Psychologie nicht nur als Mangel, sondern insbesondere in der Idee der Grundbedürfnisse als eine nahezu anthropologische Notwendigkeit eines gedeihlichen Aufwachsens gesehen (Maslow, 1954). Brazelton und Greenspan nennen sieben kindliche Grundbedürfnisse, die Kinder und Jugendliche brauchen, um gesund aufwachsen zu können (2002): 1. Das Bedürfnis nach beständigen liebevollen Beziehungen 2. Das Bedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit, Sicherheit und Regulation 3. Das Bedürfnis nach Erfahrungen, die auf individuelle Unterschiede zugeschnitten sind 4. Das Bedürfnis nach entwicklungsgerechten Erfahrungen 5. Das Bedürfnis nach Grenzen und Strukturen 6. Das Bedürfnis nach stabilen, unterstützenden Gemeinschaften und nach kultureller Kontinuität 7. Das Bedürfnis, die Zukunft zu sichern Diese 7 Grundbedürfnisse müssen im Sinne einer normativen Orientierung von der sozialen Umwelt erkannt und bestmöglich befriedigt werden – und zwar im Wissen darum, dass sich die individuelle Lern- und Entwicklungsbegleitung von Kindern kaum als konfliktfreier oder gar perfekter Schonraum konzeptualisieren lässt. (vgl. Eriksons Konzept der phasenspezifisch zu meisternden Entwicklungskonflikte). Es geht in erzieherischen Prozessen also um das Anstreben einer bestmöglichen Bedürfnisbefriedigung, nicht um ihre perfekte Erfüllung. |
Grenzen | Beim Konzept der Grundbedürfnisse lässt sich sicherlich ein euro-amerikanischer Entwicklungsfokus finden. Trotzdem sind diese Bedürfnisse so offen und breit formuliert, dass sie wohl auf nahezu alle Kulturkreise adaptierbar sind. In ihrer Grundausrichtung sind sie universal. |
Diagnostische Fragen im Zusammenhang mit der Theorie | - Welche Motive lassen für eine bestimmte Verhaltensbereitschaft vermuten? - Gibt es eine Art übergeordnete Motivation, in der sich verschiedene Motive einordnen lassen? - Führt diese zu einem klareren Gesamtbild im Hinblick auf das kindliche Verhalten? - Welche kindlichen Grundbedürfnisse sind beim Kind als erfüllt anzunehmen? - Welche kindlichen Grundbedürfnisse sind beim Kind als nicht erfüllt anzunehmen? Können diese in Verbindung mit dem gezeigten Verhalten gebracht werden? |
Konkrete diagnostische Methoden im Zusammenhang mit der Theorie | - Need for Cognition – Kinderskala - Fragebogen zur Leistungsmotivation für Schüler:innen der 3. bis 6. Klasse – Revision - Skalen zur Erfassung der Lern- und Leistungsmotivation - Persönlichkeitsfragebogen für Kinder zwischen 9 und 14 Jahren - Projektives Diagnostikum zum Beziehungserleben von Kindern - Need Inventory of Sensation Seeking |
Impulse für die Gestaltung individueller Bildungsangebote | Akute Interventionen Es ist grundlegend, kindliches Verhalten in Verbindung mit Motiven und Motivationen zu bringen. Längerfristige Interventionen Die Frage, inwieweit eine (sonder)pädagogische Einrichtung bis dato nicht ausreichend befriedigte Grundbedürfnisse stillen muss, ist grundlegend und muss explizit und konkret in Konzeptionen bedacht werden. Auf der einen Seite ist es für die altersgemäße kindliche Entwicklung oftmals elementar, dass gewisse Grundbedürfnisse ausreichend beachtet wurden, auf der anderen Seite kommen hier pädagogische Organisationen leicht an ihre Grenzen, da z.B. professionelles und elterliches Verhalten verschwimmen können. In der Pädagogik der emotionalen und sozialen Entwicklung ist das Aufgreifen von Grundbedürfnissen auch im Kontext Schule oft unerlässlich, muss aber systemisch und individuell ausreichend Raum für Reflexion erfahren. |
Literatur
Brazelton, T. B. & Greenspan, S. I. (2002). Die sieben Grund-bedürfnisse von Kindern. Was jedes Kind braucht, um gesund aufzuwachsen, gut zu lernen und glücklich zu sein.Weinheim und Basel: BELTZ.
Dorsch: Lexikon der Psychologie. Stichwort Bedürfnis. Abgerufen am 10.10.2021 unter https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/beduerfnis
Becker, F. (2019). Mitarbeiter wirksam motivieren. Berlin: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-57838-4_3
Layout und Gestaltung: Christian Albrecht, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg
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