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Selbstbestimmungstheorie (Self-Determination Theory, SDT)
Zitiervorschlag: Gromer, B. (2025). Selbstbestimmungstheorie der Motivation. Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:selbststaendiges_leben:themenfeld:theorien_lernen:motivation
Die Selbstbestimmungstheorie (Self-Determination Theory, SDT) ist eine motivationspsychologische Theorie, die von Edward L. Deci und Richard M. Ryan seit den 1980er-Jahren entwickelt wurde. Sie gehört zu den Ansätzen der modernen Motivationsforschung und wird in Anwendungsfeldern wie Bildung, Arbeits- und Organisationspsychologie, Gesundheitspsychologie, Sportpsychologie und Psychotherapie eingesetzt. Aufgrund ihrer breiten empirischen Fundierung gilt die Selbstbestimmungstheorie als eine der zentralen Theorien zur Erklärung menschlicher Motivation und Entwicklung.
Grundannahmen
Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation geht von der grundlegenden Annahme aus, dass Menschen den intrinsischen (angeborenen) Wunsch haben, sich aktiv mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen, diese zu verstehen und „in sich aufzunehmen„ (assimilieren) (vgl. Deci & Ryan 1993, 2017). Die Motivation zur aktiven Auseinandersetzung mit der Umwelt ist bereits in der frühen kindlichen Entwicklung gegeben und braucht keine Anleitungen und äußeren Zwänge. Sie ist eine wesentliche Grundlage für den Erwerb kognitiver Fähigkeiten und bestimmt zugleich die Entwicklung des individuellen Selbst. Dieses Wachstumspotenzial entfaltet sich jedoch nicht automatisch, sondern ist abhängig von sozialen und kontextuellen Bedingungen, die Motivation entweder fördern oder hemmen können (vgl. Ryan & Deci 1993). Im Zentrum der Selbstbestimmungstheorie steht nicht der Blick auf die Quantität von Motivation (z.B. Menge, Stärke oder Intensität), sondern die Unterscheidung unterschiedlicher Formen und Qualitäten von Motivation. Die Selbstbestimmungstheorie zeigt auf, dass die Art der Motivation entscheidend für Leistung, Lernqualität, Wohlbefinden und psychische Gesundheit ist (vgl. Deci & Ryan 1993; Krapp & Ryan 2002).
Zitiervorschlag: Grafik „Selbstbestimmungstheorie“ von Gromer, B. (2025). Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:selbststaendiges_leben:themenfeld:theorien_lernen:motivation, CC BY-SA 4.0
Formen der Motivation
Die Selbstbestimmungstheorie unterscheidet zwischen intrinsischer Motivation, extrinsischer Motivation und Amotivation.
Intrinsische Motivation liegt vor, wenn eine Tätigkeit um ihrer selbst willen ausgeführt wird, weil sie als interessant, freudvoll oder herausfordernd erlebt wird. Intrinsisch motiviertes Verhalten ist mit hoher Ausdauer, Kreativität und positiver Affektivität verbunden.
Extrinsische Motivation bezieht sich auf Verhalten, das ausgeführt wird, um externe Konsequenzen zu erreichen oder negative Konsequenzen zu vermeiden. Die Selbstbestimmungstheorie differenziert extrinsische Motivation weiter entlang eines Internalisierungskontinuums, das von extern reguliertem Verhalten bis hin zu vollständig integrierter Regulation reicht:
- Externale Regulation: Verhalten wird ausschließlich durch äußere Anreize wie Belohnungen oder Bestrafungen gesteuert.
- Introjizierte Regulation: Verhalten erfolgt aus innerem Druck heraus, um Schuldgefühle zu vermeiden oder das eigene Selbstwertgefühl zu schützen.
- Identifizierte Regulation: Verhalten wird ausgeführt, weil das Ziel bewusst als persönlich wichtig und sinnvoll anerkannt wird.
- Integrierte Regulation: Verhalten ist vollständig in das eigene Selbstkonzept integriert und steht im Einklang mit den eigenen Werten und Identität.
Je stärker eine Regulation internalisiert ist, desto autonomer und selbstbestimmter ist das Verhalten (vgl. Ryan & Deci, 1993).
Amotivation beschreibt einen Zustand fehlender Handlungsabsicht, der häufig mit Gefühlen von Inkompetenz oder fehlender Bedeutsamkeit einhergeht.
Auf übergeordneter Ebene fasst die Selbstbestimmungstheorie diese Motivationsformen zu kontrollierter Motivation (externe und introjizierte Regulation) und autonomer Motivation (intrinsische Motivation sowie identifizierte und integrierte Regulation) zusammen (vgl. Deci & Ryan, 1993; 2017).
Psychologische Grundbedürfnisse
Ein weiteres zentrales Element der Selbstbestimmungstheorie ist die Annahme dreier empirisch bestätigter und kulturübergreifend gültiger psychologischer Grundbedürfnisse. Deren Befriedigung ist für optimale Motivation, Entwicklung und Wohlbefinden notwendig ist (Ryan & Deci, 2017):
- Autonomie: das Erleben von Selbstbestimmung und Volition im eigenen Handeln.
- Kompetenz: das Gefühl, wirksam zu sein und Herausforderungen erfolgreich bewältigen zu können.
- Soziale Eingebundenheit (Relatedness): das Erleben von Zugehörigkeit, Akzeptanz und Verbundenheit mit anderen.
Empirische Forschung zeigt konsistent, dass die Befriedigung dieser Bedürfnisse mit höherem Wohlbefinden, besserer Leistung und größerer psychischer Gesundheit verbunden ist, während deren Frustration negative Folgen wie Stress, Burnout oder depressive Symptome begünstigt (vgl. Shogren & Raley, 2025; Ryan & Deci, 1993, 2017).
Bedeutung sozialer Kontexte
Die Selbstbestimmungstheorie betont die zentrale Rolle sozialer Kontexte, etwa durch Lehrkräfte, Eltern und weitere Bezugspersonen, bei der Entwicklung oder Unterdrückung selbstbestimmter Motivation. Autonomie-unterstützende Kontexte, die Wahlmöglichkeiten bieten, Perspektiven anerkennen, eigene Zielperspektiven unterstützen und nachvollziehbare Begründungen für Fremdbestimmungen liefern, fördern die Internalisierung von Motivation. Kontrollierende Kontexte hingegen, die auf Druck, Überwachung oder externe Anreize setzen, begünstigen kontrollierte Motivation und können langfristig negative Effekte haben.
Entwicklung von Selbstbestimmung
Wie sich Selbstbestimmung als Kompetenz entwickelt und wie Menschen selbstbestimmt handeln lernen, zeigt die Causal Agency-Theorie (Shogren & Raley, 2025) auf.
Literatur
Deci, E. L. & Ryan, R. M. (1993). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. In: Zeitschrift für Pädagogik 39/2, 223-238.
Krapp, A. & Ryan, R. M. (2002). Selbstwirksamkeit und Lernmotivation. Eine kritische Betrachtung der Theorie von Bandura aus der Sicht der Selbstbestimmungstheorie und der pädagogisch-psychologischen Interessentheorie. In: Zeitschrift für Pädagogik 44, 54-82.
Ryan, R. M., & Deci, E. L. (2017). Self-Determination Theory: Basic psychological needs in motivation, development, and wellness. New York: Guilford Press.
Shogren, K.A. & Raley, S.K. (2025). Selbstbestimmung und Causal Agency-Theorie. Von der Forschung in die Praxis. Heidelberg: Springer.
Wehmeyer, M.L. (2022). Lebensqualität und Selbstbestimmung. In: Zentel, P. Lebensqualität und geistige Behinderung. Theorien, Diagnostik, Konzepte. Stuttgart: Kohlhammer, 55-61.
Layout und Gestaltung: Christian Albrecht, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg
