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Entwicklung von Lesen von/Schreiben in Brailleschrift
Zitiervorschlag: Wahl, B., Lang, M. (2021). „Entwicklung von Lesen von/Schreiben in Brailleschrift“. Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:lesen_schreiben:punktschrift, CC BY-SA 4.0
Das System der deutschen Braille-Punktschrift
Sämtliche der heute gebräuchlichen Punktschriftsysteme basieren auf der Grundlage der von Louis Braille (1809-1852) entwickelten Punktschrift. Das Grundmuster der Punktschrift besteht aus frei kombinierbaren Punkten innerhalb einer 6-(8- ) Punktematrix, der sogenannten Braillezelle.
In Deutschland werden als Lese- bzw. Schreibschriften die Vollschrift, Kurzschrift und Eurobraille (Computerbraille) verwendet.
Die Vollschrift basiert auf einer 6-Punkte-Matrix, innerhalb derer durch unterschiedliche Punktkombinationen bis zu 64 Zeichen dargestellt werden können. Die Großschreibung erfolgt hier durch ein Ankündigungszeichen, das vor den entsprechenden Buchstaben gestellt wird, so dass die Buchstabenzeichen selbst ausschließlich Kleinbuchstaben darstellen. Für häufige Buchstabenkombinationen (au, eu, ie, ei, sch, ch, ck, st) wird ein Buchstabenzeichen verwendet. Ebenso gibt es Punktkombinationen für Satzzeichen.
6-Punkt-Braillezelle mit Punktnummerierung
1 | 4 | ||
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2 | 5 | ||
3 | 6 |
In der deutschen Blindenkurzschrift wird durch die Verwendung von Punktkombinationen bzw. Zeichenkombinationen für gesamte Silben oder Wörter eine Reduktion des Umfangs gedruckter Brailleschrift erreicht. Die Kurzschrift umfasst etwa 300 Kürzungen, die in einem komplexen Regelwerk zusammengefasst sind.
Im Schriftsystem Eurobraille basieren sämtliche Zeichen auf einer Braillezelle aus 8 Punkten. Durch diese Erweiterung der ursprünglichen Braillezelle können insgesamt 256 Punktkombinationen erreicht werden, was die Darstellung des ASCII-Zeichensatzes ermöglicht. Im Schriftsystem Eurobraille können Groß- und Kleinbuchstaben durch jeweils ein Einzelzeichen dargestellt werden, hierbei wird die Schreibung der Kleinbuchstaben aus der Braille-Vollschrift weitgehend übernommen. Die Kürzung von Buchstabenkombinationen und der Gebrauch von Ankündigungszeichen entfällt in Eurobraille.
8-Punkt-Braillezelle mit Punktnummerierung
Lesen von Brailleschrift
Der Leseprozess von Brailleschrift erfolgt weitgehend analog des Leseprozesses von Schwarzschrift, ein Unterschied besteht hauptsächlich in der Wahrnehmung der Buchstaben – je nach Schriftsystem auch im Bereich des orthographischen Lesens.
Das taktile Lesen erfolgt nicht durch die Analyse eines geschriebenen Buchstabens oder Wortes über einen visuellen Eindruck, sondern über einen Tasteindruck. Die Brailleschrift wird mit den Fingerkuppen gelesen und ist somit abhängig von der Wahrnehmung in den Fingerkuppen. Meist wird zur Identifikation einzelner Buchstaben der Zeigefinger verwendet, beim Leseprozess geübter Braille-Leser:innen sind auch weitere Finger beteiligt. Das Lesen erfolgt in der Regel beidhändig, dabei wird eine Hand als dominante Lesehand verwendet. Die Lesebewegungen geübter Punktschriftleser zeichnen sich durch folgende Faktoren aus:
- unabhängiger Gebrauch der Hände (z.B. für Zeilenwechsel, Erkennen von Lücken, …)
- sicherer Zeilenwechsel
- geringer Auflagedruck der Lesefinger
- fließender Bewegungsablauf in horizontaler links-rechts-Bewegung
Das Lesen auf Papier unterscheidet sich im Wesentlichen nicht vom Lesen auf einer Braillezeile. Da auf der Braillezeile nur jeweils eine Zeile des Textes ausgegeben wird, muss der Zeilenwechsel über eine Taste ausgeführt werden.
Brailleleser:innen erzielen durchschnittliche Lesegeschwindigkeiten von 100-150 Wörtern pro Minute, dies entspricht etwa der Hälfte bis einem Drittel der Lesegeschwindigkeit des visuellen Lesens. Ein überfliegendes Lesen ist nicht möglich.
Schreiben von Brailleschrift
Das Schreiben von Brailleschrift erfolgt an einer Punktschriftmaschine, einer Braille-Eingabetastatur für den PC oder an einer regulären Schwarzschrift-Tastatur am PC. Bei beiden Varianten kann eine hohe Schreibgeschwindigkeit erreicht werden. An Punktschriftschreibmaschinen oder an der Braille-Eingabetastatur werden durch kombiniertes Niederdrücken der Tasten, die jeweils einen Punkt der Braillezelle repräsentieren, Buchstaben geschrieben. An der Schwarzschrifttastatur wird mit Hilfe des 10-Finger-Tastschreibens geschrieben, der Braille-Schreiber erhält über die Braillezeile oder eine Sprachausgabe am PC eine Rückmeldung über das Geschriebene.
Das Schreiben von Brailleschrift unterscheidet sich dahingehend vom Schreiben in Schwarzschrift, dass kein Abschreiben unbekannter Buchstaben möglich ist. Die Schreibung eines Buchstabens wird in Punktkombinationen ausgedrückt. Dies Punktkombinationen können durch Ertasten eines Braillebuchstabens nicht ermittelt werden. Die Punkte sind den Tasten auf der Braille-Eingabetastatur/-Schreibmaschine zugeordnet. Analog dieser Nummerierung werden auch die Finger, die die jeweilige Taste bedienen, entsprechend nummeriert. So kann die Schreibung eines Buchstabens in Form von Punktkombinationen erlernt werden. Ziel ist es, diese Kombinationen im motorischen Gedächtnis zu speichern, so dass beim Schreiben nicht zwingend eine Rückgriff auf die Punktbenennung nötig ist.
Literatur:
Lang, M. (2011). Lesen und Schreiben. In M. Lang, U. Hofer & F. Beyer (Hrsg.), Didaktik des Unterrichts mit blinden und hochgradig sehbehinderten Schülerinnen und Schülern. Band 2: Fachdidaktiken. (S. 15-54). Stuttgart: Kohlhammer
Lang, M. (2003). Haptische Wahrnehmungsförderung mit blinden Kindern. Möglichkeiten der Hinführung zur Brailleschrift. Regensburg: S. Roderer Verlag
Layout und Gestaltung: Christian Albrecht, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg