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wsd:didaktisierung:situatives_handeln_ideensammlung

Hinweise und Ideensammlung zum situativen Handeln

Zitiervorschlag: Witt, N., Härle, C. & Brandstetter, R. (2021). „Hinweise und Ideensammlung zum situativen Handeln.“ Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:didaktisierung:situatives_handeln_ideensammlung, CC BY-SA 4.0

Allgemeine Hinweise zur Gestaltung situativen Handelns

Im schulischen Alltag schaffen kleine und vermeintlich “simple” Handlungsmöglichkeiten präventiv und niederschwellig einen hilfreichen Rahmen. Dieser kann Kindern und Jugendlichen in schwierigen Lebenslagen Halt und Orientierung geben und damit zur Bewältigung herausfordernder Situationen beitragen.

Die hier dargestellten Anregungen dienen als Impulse und nicht als Rezepte. Oberflächlich betrachtet wirken sie wie einfach anzuwendende Techniken. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass auch hinter diesen Handlungsmöglichkeiten die darunter liegende Haltung der Lehrkraft von zentraler Bedeutung ist. Diese ist maßgeblich dafür, ob die betreffenden Schüler:innen eine Maßnahme als Strafe oder Unterstützung, als Beschämung oder Entlastung wahrnehmen können.

Insgesamt finden sich die hier vorgestellten Handlungsmöglichkeiten in der Literatur rund um das Thema “Klassenführung”. Im Rahmen der WSD gehören sie zu dem Gesamtpaket der unter “situativen Handeln” vorgestellten Handlungsmöglichkeiten und sind immer vor dem Hintergrund der individuellen Entwicklungs- und Bildungsangebotsplanung zu verstehen.

Um eine sinnvolle und zielführende Umsetzung einer Handlungsmöglichkeit im Vorfeld zu überprüfen, sollte die aktuelle Situation mehrperspektivisch analysiert werden:

  • Reflexion der eigenen Person, der Beziehung zum Kind und zur Gruppe (Bedürfnisse, Motive, Ansprüche, Werte, Formen der Beziehungsgestaltung, persönliche Stressauslöser, persönliche Ressourcen, …)
  • Reflexion der Beobachtungen des einzelnen Kindes oder Jugendlichen (Umgang mit Bedürfnissen, Situationen des Wohlbefindens, Situationen des Unwohlseins, Umgang mit Unterstützung, Verletzlichkeiten, Beziehung zur Gruppe, Position innerhalb der Gruppe, …)
  • Reflexion der Beobachtungen von Interaktionen innerhalb der Gruppe (Gruppenklima, Gruppenkodex, Kleingruppenbildungen, Beziehungen untereinander, Allianzen, Austragungsformen für Konflikte, …)
  • Reflexion der Beobachtungen von Unterrichtssituationen (Interessen der Gruppe oder einzelner Schüler:innen, Resonanz auf Unterrichtsthemen, hilfreiche Arbeitsformen, vertraute/hilfreiche Sozialformen, …)
  • Reflexion der Rahmenbedingungen (räumliche Bedingungen wie Raumgröße, -ausstattung, - beleuchtung, -temperatur, Gestaltung des Raumes durch Sitzordnung, ausliegende Materialien, Raumschmuck, Bilder, …)

Situatives Handeln

Situatives Handeln

Zitiervorschlag: Grafik „Situatives Handeln“ von Witt, N. (2021) Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:didaktisierung:situatives_handeln_ideensammlung#situatives_handeln, CC BY-SA 4.0


Konkrete Ansatzpunkte (zum Ausklappen bitte anklicken)

Beziehungsgestaltung

Gestaltung der Sitzordnung und des Sitzplatzes

Gestaltung der Lernumgebung

Gestaltung des Unterrichts und der Arbeitsaufträge

Unterrichtsfluss aufrechterhalten

Gestaltung der Umgangsregeln


Ideensammlung zum situativen Handeln

Die Ideensammlung zum situativen Handeln verknüpft sich gedanklich mit den allgemeinen Hinweisen zur Planung und Gestaltung von schulischen Bildung- und Erziehungsangeboten.

Die hier aufgeführten Beispiele erheben weder den Anspruch, alle denkbaren Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit herausforderndem Verhalten abzubilden, noch sind sie als Tipps zum wahllosen Ausprobieren zu verstehen. Sie sollten als individuelle Bildungs- und Erziehungsangebote nach Möglichkeit vielmehr im Zusammenhang mit den aus den Erklär-Hypothesen abgeleiteten Zielen stehen. Entscheidend bei der Umsetzung der Beispiele ist neben einem beziehungsförderlichen, möglichst präventiven und deeskalierenden Vorgehen auch die regelmäßige, kritische Reflexion der Lehrkräfte in der Anwendung.   Wichtig: Selbstverständlich können sämtliche Beispiele auch diagnostisch gewendet werden. Hierbei rückt die Frage ins Zentrum, welches Ziel im diagnostischen Sinn durch den Einsatz eines Beispiels in den Blick genommen werden soll.

Die ausgewählten Beispiele stammen überwiegend aus den Planungshilfen nach Hartke & Vrban (Erprobungsversion 2005 in Vrban, 2007). Diese leiten sich aus verschiedenen Theorien (Lerntheorie, Kognitionspsychologie und Humanistische Psychologie) oder typischen Problembereichen (bewährte/evidenzbasierte Hilfen bei aggressiven oder ängstlichen Verhaltensweisen) ab und sind in der strukturellen Darbietung immer gleich aufgebaut.

Ergänzt werden die Beispiele von Hartke & Vrban durch Möglichkeiten, durch spielerisches, zeichnerisches und verbal-thematisches Gestalten weiterführende diagnostische Settings bzw. passende Bildungs- und Erziehungsangebote zu generieren.

Ein systematisiertes, theoriegeleitetes, strukturiertes und zielgerichtetes Vorgehen der Lehrkräfte soll damit unterstützt werden. 


Übersicht der Impulse und Einordnung zu den Themenfeldern

BezeichnungTFZiel
Absehbare Risikosituationen entschärfen2,3,4,6,7,8Schutz aller Beteiligten vor einem situationsspezifischen Fehlverhalten, Aufbau eines in der Situation passenden Verhaltens.
Aus-Zeit oder Ruhe-Zeit2,3,4,6,7,8Schutz für alle Beteiligten vor dem Fehlverhalten und Schaffen eines Raums zum Durchatmen, Abkühlen, Sammeln, Beruhigen, Information der Schülerin:des Schülers über die Verhaltenserwartung und die Reaktion der Lehrperson, Abbau des Fehlverhaltens.
Das Kind erwischen, wenn es gut ist - Verstärkung positiven Verhaltens2,3,4,6,7,8Häufigeres positives Verhalten der Schülerin:des Schülers, Beibehalten des positiven Verhaltens, Information der Schülerin:des Schülers über die Verhaltenserwartung der Lehrperson.
Der Flüsterstuhl3Befriedigung des Bedürfnisses nach Aufmerksamkeit und Zuwendung, Steigerung des Selbstwertgefühls.
Die Stopp-Technik2,3,4,6,7,8Reaktionsverzögerung, Erhöhung der Anzahl überlegter situationsangemessener Verhaltensweisen.
Einüben einer Selbstinstruktion durch kognitives Modellieren2,3,4,6,7,8Einüben von effizienten Handlungsstrategien, Verbesserung des Lösungsverhaltens (kontrolliert-reflexives Lösungsverhalten)
Erkennen von Ängsten im Schulalltag3,6Erkennen von Leistungsängsten und sozialen Ängsten.
Geplantes Ignorieren2,3,6,7,8Abbau von Fehlverhalten, Nichtverstärken eines unpassenden Verhaltens
Individuelle Fortschritte anerkennen3,4,6Erhalt und Steigerung der Motivation, Wissen der Schülerin:des Schülers über eigene Kenntnisse und Fertigkeiten, Schaffung von Erfolgserlebnissen
Interesse an positiven Aktivitäten3,4,6Dem Schüler deutlich machen, dass das aktuell gezeigte Verhalten richtig ist und sie:er sich demnach weiter so verhalten soll.
Kausalattribuierungen verbessern3Gesteigerte Anstrengungsbereitschaft, Aufbau von realistischen Ursachenzuschreibungen.
Klassenparlament3,6Verbesserung des Klassenklimas und der Klassengemeinschaft (TF 6), Verbesserung der Einstellung und Motivation zur Schule (TF 3), Verringerung von Schulunlust (TF 3), Vorbeugung von Absentismus.
Konfliktbewältigung ohne Niederlagen2,3,4,6,7,8Zufriedenstellende Konfliktlösung für alle Beteiligten
Kooperative Gruppenaktivitäten3,6,7Verbesserung des Klassenklimas (TF 6), Förderung von Freundschaften (TF 7), Verbesserung der Einstellung und Motivation zur Schule (TF 3), Abbau und/oder Verhinderung von Absentismus.
Leistungssituationen entschärfen3,5Erfolgreiche Bewältigung angstbesetzter Situationen.
Logische Konsequenzen-Wiedergutmachungen, Auflagen, Verlust von Vergünstigungen2,3,4,6,7,8Abbau von Fehlverhalten, Erkennen des eigenen Fehlverhaltens und der logischen Beziehung zwischen dem Verhalten der Schülerin:des Schülers und der von der Lehrperson gewählten Konsequenz, Information der Schülerin:des Schülers über zukünftig zu erwartende Reaktionen der Lehrperson.
Punktabzugsprogramm (Response-Cost-Verfahren)3,4,6Aufbau positiver Verhaltensweisen, Information der Schülerin:des Schülers über die Verhaltenserwartung der Lehrperson, Förderung der Selbstbeobachtung und -bewertung
Realistische Zielsetzungen einüben3Entwicklung realistischer Zielsetzungen, realistischere Einschätzung des eigenen Leistungsvermögens, Schaffung von Erfolgserlebnissen und der Erkenntnis, dass eigene Anstrengungen zu einer erfolgreichen Zielerreichung führen, Förderung der Motivation, Vermeidung von unnötigen Misserfolgserlebnissen.
Reflektierendes Krisengespräch3,4Ausbildung von Handlungskompetenzen, Übernahme von Verantwortung für eigenes Handeln (TF 3), Fähigkeiten zur Konfliktbewältigung entwickeln
Rollenspiel zur Förderung des Perspektivwechsels4,6,7Hineinversetzen in das Denken und Fühlen einer anderen Person in einer Konfliktsituation, Verstehen der Bedeutung der Regeln eines fairen Miteinanders.
Rollenspiel zur Lösungsfindung2,4,6,7Erarbeitung und Übung von Handlungsalternativen zu aggressivem Verhalten in Konflikten, Förderung einer gewaltfreien Konfliktbewältigung
Schüler:innenzentriertes Lehrer:innenverhalten3,4,6Persönlichkeitsförderung, Grundbedürfnisse nach sozialer Anerkennung und vertrauensvollen Beziehungen befriedigen, Stärkung des Selbstwertgefühls
Signale einsetzen2,3,4,6,7,8Unerwünschtes Verhalten stoppen, verhindern und abbauen, größeren Regelüberschreitungen im Vorfeld erfolgreich entgegenwirken, ein erwünschtes Verhalten hervorrufen
Spielerische Gestaltungsverfahren1, 2, 4, 7Gefühle, Ideen ausdrücken, Geeigneten Wortschatz aufbauen, eigene Ressourcen entdecken
Token-Programme3,4,6Aufbau von positivem Verhalten, Übernahme des Verhaltens in das Verhaltensrepertoire der Schülerin:des Schülers, Information der Schülerin:des Schülers über die Verhaltenserwartung der Lehrperson, Förderung der Selbstbeobachtung und -bewertung.
Verbal-thematische Verfahren1, 2, 4, 7Gefühle, Ideen ausdrücken, Geeigneten Wortschatz aufbauen, angemessene Interaktion und Kommunikation üben
Verbote – Unterlassungsanweisungen 2,3,4,6,7,8Umgehendes Beenden eines Fehlverhaltens, Aufzeigen von Handlungsalternativen.
Verhaltenskorrektur2,3,4,6,7,8Angemessenes Verhalten in vergleichbaren Situationen, Aktivierung von positiven Verhaltensweisen aus dem Verhaltensrepertoire der Schülerin:des Schülers.
Verhaltensverträge schließen3,4,6Aufbau von positivem Verhalten, Übernahme des Verhaltens in das Verhaltensrepertoire der Schülerin:des Schülers, Information des Schülers über die Verhaltenserwartung der Lehrperson, Förderung der Selbstbeobachtung und -bewertung
Zeichnerische Gestaltungsverfahren1, 2, 4, 7Gefühle, Ideen ausdrücken, Geeigneten Wortschatz aufbauen, eigene Ressourcen entdecken

Literatur

Hartke, B. & Vrban, R. (2008). Schwierige Schüler - 49 Handlungsmöglichkeiten bei Verhaltensauffälligkeiten. 1.-4. Klasse. Buxtehude: Persen

Hartke, B., Blumenthal, Y., Carnein, O. & Vrban, R. (2014). Schwierige Schüler – Sekundarstufe – 64 Handlungsmöglichkeiten bei Verhaltensauffälligkeiten. 5.-10. Klasse. Hamburg: Persen

Hartke, B., Blumenthal, Y, Carnein, O. & Vrban, R. (2018). Schwierige Schüler - 84 Handlungsmöglichkeiten bei Verhaltensauffälligkeiten und sonderpädagogichem Förderbedarf - 1. - 10. Klasse. Hamburg: Persen.

Hillenbrand, C., Hennemann, T., Hens, S. & Hövel, D. (2013). “Lubo aus dem All!” - 1. und 2. Klasse. Programm zur Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen. München: Reinhardt

Nolting, H.-P. (2002). Störungen in der Schulklasse. Ein Leitfaden zur Vorbeugung und Konfliktlösung. Weinheim: Beltz

Vrban, R. & Hartke, B. (2009). Schwierige Schüler – 49 Handlungsmöglichkeiten. Ergebnisse eines Forschungsvorhabens zur Entwicklung und Evaluation von Planungshilfen zur Unterstützung des Lehrerhandelns. Zeitschrift für Heilpädagogik, 2, S. 54 -63.

Vrban, R. (2017). Problemsituationen bewusst begegnen. Grundschule, 1, 20-25.

Vrban, R. (2007). Kognitionspsychologische Grundlagen der Gestaltung von Materialien für Lehrkräfte zur Unterstützung des Lehrerhandelns - am Beispiel Planungshilfen Schulische Prävention. Dissertation Philosophische Fakultät der Universität Rostock (online abrufbar, Universität Rostock).

Wienand, F. (2019). Projektive Diagnostik bei Kindern, Jugendlichen und Familien – Grundlagen und Praxis. Ein Handbuch. Stuttgart, Kohlhammer - GmbH. 2. Auflage.

https://www.zentrales-adhs-netz.de/fuer-paedagogen/hilfreiche-konzepte-materialien/adhs-in-der-schule-strategien-fuer-schule-und-unterricht/


Layout und Gestaltung: Christian Albrecht, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg

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