Zitiervorschlag: Stecher, M. (2022). „Hinweise zur Hypothesenbildung Kommunikation.“ Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:kommunikation:hypothesenbildung, CC BY-SA 4.0
Im Anschluss an die Erhebung diagnostischer Daten erfolgt die Hypothesenbildung. Als Bindeglied zwischen Diagnostik und Didaktik stellt sie das „Kernstück“ sonderpädagogischen Handelns im Rahmen von ILEB dar. Ziel der Hypothesenbildung ist es, Zusammenhänge zu beschreiben, die erklären, woran es liegen könnte, dass bei einem Kind bzw. einer:einem Jugendlichen Schwierigkeiten, z. B. in der Kommunikation, bestehen.
Folgende Aspekte sind hierbei von besonderer Relevanz:
Im Folgenden sind verschiedene Hinweise zur Hypothesenbildung im Bereich Kommunikation aufgeführt. Diese sollen die Nutzer:innen von WSD darin unterstützen, Schwierigkeiten in der Kommunikation besser verstehen und erklären zu können.
Die spezifischen Hinweise zu Kommunikation untergliedern sich in folgende Teilfragen:
Folgende Zusammenhänge können darauf hindeuten, dass es sich bei den Schwierigkeiten eines Kindes bzw. einer:eines Jugendlichen nicht ausschließlich um Schwierigkeiten im Kontext Mehrsprachigkeit handelt:
Hinweise zum diagnostischen Vorgehen bei Mehrsprachigkeit finden Sie hier.
Neben den Sinnesfunktionen Hören und Sehen sowie den Stimm- und Sprechfunktionen (Funktionen der Stimme, die Phonetik betreffende Funktionen / korrekte Lautbildung, Funktionen des Redeflusses und des Sprechrhythmus) sind die im Folgenden aufgeführten mentalen Funktionen von besonderer Bedeutung für die Kommunikationsentwicklung (vgl. Aktas 2012, Szagun 2019):
Personbezogene Faktoren |
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- Selbstwirksamkeitserwartungen - Motivation - Selbstvertrauen - Selbstkonzept - Interesse - Attribuierung - … |
Unterstützung und Beziehungen | Lernumgebung | Einstellungen | Hilfsmittel |
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- Bekommt das Kind zusätzliche sprach- bzw. kommunikationsfördernde Angebote (z.B. Logopädie)? - Wie gestalten sich die Beziehungen des Kindes im familiären und schulischen Kontext? | - Gibt es spezifische Angebote zu Pragmatik, Wortschatz, Sprachverständnis, Grammatik? - Werden sprach- und kommunikationsfördernde Rituale genutzt? Wenn ja, welche? - Welche Sprech- und Kommunikationsanlässe gibt es? - Werden die sprachlichen Angebote an das Kind sprachfördernd und sprachverständnissichernd eingesetzt, z. B. handlungsbegleitendes Sprechen? - Wird Korrektives Feedback eingesetzt? - Orientieren sich die Bezugspersonen in ihrem Sprachangebot an den Lern- und Sprachvoraussetzungen des Kindes? - Wurden Gesprächsregeln eingeführt und werden diese umgesetzt? - Gibt es Möglichkeiten zur Reflexion über Kommunikation, z. B. nach Konflikten? | - Ist es dem Umfeld (Eltern, Kiga,…) wichtig, dass das Kind aus lebensbedeutsamen Kontexten erzählt und ausreichend kommuniziert? - Wird das Kind als aktive:r soziale:r Interaktionspartner:in angesehen? - Ist es dem Umfeld wichtig, sprachentwicklungsunterstützende Maßnahmen (z. B. Logopädie) einzusetzen? - Wird die Sprechfreude des Kindes gefördert? | - Hat das Kind Zugang zu entsprechenden Hilfsmitteln (PC, iPad, Digitale Übertragungsanlage, Talker,…)? |
Umweltfaktoren, die besonderen Einfluss auf die Kommunikation in Lautsprache bei Mehrsprachigkeit, bei beginnender Lautsprache, in Deutscher Gebärdensprache, über körpereigene Formen, über dreidimensionale Gegenstände, über zweidimensionale Abbildungen oder über Taktile Gebärden haben, finden Sie in den entsprechenden Arbeitshilfen.
Empirische Ergebnisse aus verschiedenen Studien zeigen, dass es im frühen Spracherwerb einen engen Zusammenhang zwischen Wortschatzerwerb und Grammatikerwerb gibt. So haben Kinder mit einem schnellen Wortschatzerwerb auch einen schnellen Grammatikerwerb. Dies trifft sowohl auf Kinder mit altersgemäßer Sprachentwicklung in verschiedenen Sprachen zu, wie auf Kinder mit verschiedenen Formen genetisch oder hirnstrukturell bedingten Schädigungen (vgl. Szagun 2019). Es ist daher nahe liegend, diesen Zusammenhang so zu interpretieren, dass Wortschatzerwerb und Grammatikerwerb durch den gleichen Mechanismus gesteuert werden (vgl. Szagun 2019).
Der Zusammenhang zwischen Wortschatz und Grammatik wird oft mit dem Effekt der „kritischen Masse“ erklärt, was bedeutet, dass es eine kritische Masse an erworbenem Vokabular braucht, damit der Erwerb von Grammatik in Gang kommen kann (vgl. Szagun 2019).
Literatur
Aktas, M. (2012). Entwicklungsorientierte Sprachdiagnostik und -förderung bei Kindern mit geistiger Behinderung. München: Elsevier-Verlag
Szagun, G. (2019). Sprachentwicklung beim Kind. Weinheim: Beltz-Verlag
Layout und Gestaltung: Christian Albrecht, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg