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wsd:kommunikation:sprachentwicklung_dgs

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wsd:kommunikation:sprachentwicklung_dgs [2023/01/30 13:40] Romina Raunerwsd:kommunikation:sprachentwicklung_dgs [2023/04/17 12:31] Romina Rauner
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 ====== Gebärdenspracherwerb ====== ====== Gebärdenspracherwerb ======
  
-**Zitiervorschlag:** Rauner, R. (2022). „Gebärdenspracherwerb.“ Abgerufen von URL:[[:wsd:kommunikation:sprachentwicklung_dgs|https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:kommunikation:sprachentwicklung_dgs]], [[https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode|CC BY-SA 4.0]]+**Zitiervorschlag:** Rauner, R. (2022). „Gebärdenspracherwerb.“ Abgerufen von URL:[[:wsd:kommunikation:sprachentwicklung_dgs|https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:kommunikation:sprachentwicklung_dgs|]], [[https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode|CC BY-SA 4.0]]
  
-Das Thema Gebärdenspracherwerb kann sich auf verschiedene Bereiche der Sprachforschung beziehen, je nachdem, wer wann, von wem und in welcher Situation diese Sprache erwirbt (Boyes Braem 1995). +Das Thema Gebärdenspracherwerb kann sich auf verschiedene Bereiche der Sprachforschung beziehen, je nachdem, wer wann, von wem und in welcher Situation diese Sprache erwirbt (Boyes Braem 1995). Becker und Jaeger unterscheiden beim Erwerb der Gebärdensprache folgende Erwerbskontexte (Becker, Jaeger 2019):
-Becker und Jaeger unterscheiden beim Erwerb der Gebärdensprache folgende Erwerbskontexte (Becker, Jaeger 2019):+
  
   * Gebärdensprache als Erstsprache im Rahmen eines natürlichen und ungesteuerten Erwerbs in der frühen Kindheit   * Gebärdensprache als Erstsprache im Rahmen eines natürlichen und ungesteuerten Erwerbs in der frühen Kindheit
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 Auch wenn es sich bei den Kindern, die in einem gebärdensprachlichen Umfeld aufwachsen, um einen kleinen Prozentsatz (ca. 5-10% der gehörlosen Kinder) handelt, bezieht sich der folgende Text ausschließlich auf diese Kinder, da anhand dieser Gruppe aufgezeigt werden kann, wie ein natürlicher Gebärdenspracherwerb funktioniert (vgl. Becker & Jaeger 2019). Auch wenn es sich bei den Kindern, die in einem gebärdensprachlichen Umfeld aufwachsen, um einen kleinen Prozentsatz (ca. 5-10% der gehörlosen Kinder) handelt, bezieht sich der folgende Text ausschließlich auf diese Kinder, da anhand dieser Gruppe aufgezeigt werden kann, wie ein natürlicher Gebärdenspracherwerb funktioniert (vgl. Becker & Jaeger 2019).
  
-Bisherige Untersuchungen deuten darauf hin, dass Kinder, die eine Gebärdensprache auf natürliche Art und Weise als Erstsprache erwerben, die Grundzüge der Gebärdensprache nach vergleichbaren Mustern – unabhängig von der Sprachmodalität - erwerben wie hörende Kinder, die eine Lautsprache erlernen (Hänel-Faulhaber 2012).  +Bisherige Untersuchungen deuten darauf hin, dass Kinder, die eine Gebärdensprache auf natürliche Art und Weise als Erstsprache erwerben, die Grundzüge der Gebärdensprache nach vergleichbaren Mustern – unabhängig von der Sprachmodalität - erwerben wie hörende Kinder, die eine Lautsprache erlernen (Hänel-Faulhaber 2012).
  
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 ===== Entwicklungsschritte von Laut- und Gebärdensprache im Vergleich ===== ===== Entwicklungsschritte von Laut- und Gebärdensprache im Vergleich =====
  
 Das untenstehende Schaubild verdeutlicht die einzelnen Entwicklungsschritte in der Gebärdensprache im Vergleich zur Lautsprache. Das untenstehende Schaubild verdeutlicht die einzelnen Entwicklungsschritte in der Gebärdensprache im Vergleich zur Lautsprache.
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-Bis zur Produktion erster Mehrwort- bzw. Mehrgebärdenäußerungen im Alter zwischen 1;6 und 2;0 Jahren verläuft der prinzipielle Erwerb der Gebärdensprache weitgehend parallel zu dem der Lautsprache. Mit dem Erwerb der Grammatik folgt der Spracherwerb den für die jeweilige Sprach[[wsd:glossar#Modalitaet|modalität]] notwendigen Strukturen (vgl. Mayberry & Squires 2006). Dazu zählt zum Beispiel die Verwendung von manuellen und non-manuellen Artikulatoren, die in der Lautsprache keine bedeutungstragende Rolle spielen.  
  
 +Bis zur Produktion erster Mehrwort- bzw. Mehrgebärdenäußerungen im Alter zwischen 1;6 und 2;0 Jahren verläuft der prinzipielle Erwerb der Gebärdensprache weitgehend parallel zu dem der Lautsprache. Mit dem Erwerb der Grammatik folgt der Spracherwerb den für die jeweilige Sprach[[:wsd:glossar#modalitaet|modalität]] notwendigen Strukturen (vgl. Mayberry & Squires 2006). Dazu zählt zum Beispiel die Verwendung von manuellen und non-manuellen Artikulatoren, die in der Lautsprache keine bedeutungstragende Rolle spielen.
  
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 ==== Im ersten Lebensjahr: Vorlexikalisches Entdecken ==== ==== Im ersten Lebensjahr: Vorlexikalisches Entdecken ====
  
-Wie hörende Kinder durchlaufen auch gehörlose Kinder die erste Phase des Lallens. Aufgrund des mangelnden akustischen Feedbacks hören sie aber irgendwann auf und kommen nicht ohne externe Unterstützung in den zweiten Erwerbsschritt, bei dem sie das Lautinventar der sie umgebenden Lautsprache lernen. Gleichzeitig entdecken Kinder in dieser Zeit ihre Hände und fangen an, diese sowohl bewusster wahrzunehmen als auch visuell anzusteuern.  +Wie hörende Kinder durchlaufen auch gehörlose Kinder die erste Phase des Lallens. Aufgrund des mangelnden akustischen Feedbacks hören sie aber irgendwann auf und kommen nicht ohne externe Unterstützung in den zweiten Erwerbsschritt, bei dem sie das Lautinventar der sie umgebenden Lautsprache lernen. Gleichzeitig entdecken Kinder in dieser Zeit ihre Hände und fangen an, diese sowohl bewusster wahrzunehmen als auch visuell anzusteuern. Nach und nach schränken sich die Babys, die diesen gebärdensprachlichen Input bekommen, in ihrem manuellen Lallen auf die Handformen und die rhythmischen Bewegungen der sie umgebende Gebärdensprache ein und sie beginnen damit, die phonologischen Grundelemente der Gebärdensprache zu erwerben. In dieser frühen Phase lassen sich noch keine konkreten Gebärden oder bildhaften bzw. visuellen Äußerungen ausmachen.
-Nach und nach schränken sich die Babys, die diesen gebärdensprachlichen Input bekommen, in ihrem manuellen Lallen auf die Handformen und die rhythmischen Bewegungen der sie umgebende Gebärdensprache ein und sie beginnen damit, die phonologischen Grundelemente der Gebärdensprache zu erwerben. In dieser frühen Phase lassen sich noch keine konkreten Gebärden oder bildhaften bzw. visuellen Äußerungen ausmachen.+
  
 ==== Ab 12 Monaten: erste Wörter und Gebärden ==== ==== Ab 12 Monaten: erste Wörter und Gebärden ====
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 ==== Ab 18 Monaten: Beginn des syntaktischen Prinzips ==== ==== Ab 18 Monaten: Beginn des syntaktischen Prinzips ====
  
-Die Wortschatzgrenze von 50 Gebärden wird ca. im Alter von 1;6 Jahren erreicht (Lillo-Martin 1999). +Die Wortschatzgrenze von 50 Gebärden wird ca. im Alter von 1;6 Jahren erreicht (Lillo-Martin 1999). Gehörlose Kinder fangen zudem ab ca. 18 Monaten an, einzelne Gebärden miteinander zu kombinieren. Diese Zwei-Gebärden-Sätze weisen kaum Deklinationen und Konjugationen auf. Verben werden meist im Infinitiv verwenden, Nomen nicht korrekt flektiert. Bei Entscheidungsfragen sind Kinder bereits im Zweiten Lebensjahr in der Lage, die entsprechende grammatikalische Mimik korrekt einzusetzen. Bei W-Fragen wird die Fragekonstruktion zunächst nur manuell über die entsprechende Frage-Mimik markiert, eine grammatisch korrekte mimische Markierung kommt erst später hinzu.
-Gehörlose Kinder fangen zudem ab ca. 18 Monaten an, einzelne Gebärden miteinander zu kombinieren. Diese Zwei-Gebärden-Sätze weisen kaum Deklinationen und Konjugationen auf. Verben werden meist im Infinitiv verwenden, Nomen nicht korrekt flektiert.  +
-Bei Entscheidungsfragen sind Kinder bereits im Zweiten Lebensjahr in der Lage, die entsprechende grammatikalische Mimik korrekt einzusetzen. +
-Bei W-Fragen wird die Fragekonstruktion zunächst nur manuell über die entsprechende Frage-Mimik markiert, eine grammatisch korrekte mimische Markierung kommt erst später hinzu.+
  
 ==== Ab 24 Monaten: Komplexere Sätze ==== ==== Ab 24 Monaten: Komplexere Sätze ====
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 ==== Ab 36 Monaten: Räumliche Grammatik ==== ==== Ab 36 Monaten: Räumliche Grammatik ====
  
-DGS-lernenden Kindern gelingt es nun, syntaktische Zusammengänge von manuellen und nicht-manuellen Komponenten in zunehmendem Maße korrekt darzustellen. Mimik wird zunehmend differenzierter genutzt, Konditionalsätze manuell gekennzeichnet. +DGS-lernenden Kindern gelingt es nun, syntaktische Zusammengänge von manuellen und nicht-manuellen Komponenten in zunehmendem Maße korrekt darzustellen. Mimik wird zunehmend differenzierter genutzt, Konditionalsätze manuell gekennzeichnet. Im Alter von 28 bis 32 Monaten fangen Kinder mit DGS als Erstsprache an, Richtungsverben auf Abwesendes zu verwenden, was als Anzeichen dafür gesehen werden kann, dass die Kinder beginnen den Gebärdenraum grammatisch korrekt zu nutzen.
-Im Alter von 28 bis 32 Monaten fangen Kinder mit DGS als Erstsprache an, Richtungsverben auf Abwesendes zu verwenden, was als Anzeichen dafür gesehen werden kann, dass die Kinder beginnen den Gebärdenraum grammatisch korrekt zu nutzen. +
  
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 Mayberry, R. & Squires, B. (2006). Sign language acquisition. In: Lieven, E. (Hrsg.),: Language Acquisition. Encyclopedia of Language and Linguistics. Oxford Mayberry, R. & Squires, B. (2006). Sign language acquisition. In: Lieven, E. (Hrsg.),: Language Acquisition. Encyclopedia of Language and Linguistics. Oxford
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 +==== Weiterführende Literatur und Materialien ====
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 +Achhammer, B. (2014). Pragmatisch-kommunikative Fähigkeiten fördern. München: Reinhardt-Verlag
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 +Audeoud, M., Becker, C. et al (2016). Bi-bi Toolbox. Impulse für die bimodal-bilinguale Bildung. Online unter [[https://teach-designbilingual.univie.ac.at/index.php?id=28&matId=118|Externer Link]]
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 Layout und Gestaltung: Christian Albrecht, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg Layout und Gestaltung: Christian Albrecht, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg
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wsd/kommunikation/sprachentwicklung_dgs.txt · Zuletzt geändert: 2023/04/17 12:43 von Romina Rauner