Zitiervorschlag: Berg, M. (2022). „Entwicklungsschritte auf den einzelnen Ebenen der Lautsprache.“ Abgerufen von URL:https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:kommunikation:lautsprachentwicklung, CC BY-SA 4.0
Die Entwicklung der Lautsprache umfasst Schritte auf verschiedenen Ebenen, die jedoch nicht isoliert voneinander ablaufen, sondern wie die Teile eines Puzzles in enger Verbindung zueinander stehen und sich jeweils aufeinander auswirken. Dennoch ist zur Beschreibung der Entwicklung sowie in der Diagnostik und Förderplanung ein getrennter Blick auf die Sprachebenen hilfreich, um ein differenzierteres Bild der kindlichen Lautsprachkompetenzen zu gewinnen und Ansatzpukte für die Förderung abzuleiten.
Zitiervorschlag: Grafik „Ebenen der Lautsprache“ von Berg, M. (2022). Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:kommunikation:lautsprachentwicklung#ebenen_lautsprache, CC BY-SA 4.0
Im Erwerbstempo auf den einzelnen Sprachebenen gibt es relativ große interindividuelle Unterschiede, sodass die im Folgenden genannten Altersangaben nur als Anhaltspunkte zu verstehen sind. Hohe Übereinstimmung besteht hingegen in der Reihenfolge der Erwerbsschritte.
Auf der phonetisch-phonologischen Ebene vollzieht sich die Entwicklung der Aussprache. Diese umfasst auf produktiver Ebene einerseits die Lautbildung (Phonetik), andererseits die Lautverwendung (Phonologie). Zudem entwickeln die Kinder auf rezeptiver Ebene ihre Fähigkeit zur Lautwahrnehmung und -verarbeitung. Auf phonologischer Ebene zeigen sich auch im unauffälligen Erwerb systematische Vereinfachungen, sogenannte (phonologische Prozesse), die nach und nach überwunden werden. Dazu zählen zum Beispiel Auslassungen unbetonter Silben („Banane“ wird zu „nane“), die Vorverlagerung von Lauten („Kaffeekanne“ wird zu „Taffeetanne“) und die Auslassung von Lauten in Konsonantenverbindungen („Blume“ wird zu „Bume“).
Alter | Lautwahrnehmung/-verarbeitung | Phonetik | Phonologie |
---|---|---|---|
erstes Halbjahr | kategoriale Lautwahrnehmung | Schreien, Gurren, Quietschen usw.; Bildung von Lauten verschiedener Sprachen („sprachliche Generalisten“) | |
~ab 4. Monat | Orientierung an gehörter Sprache | Nachahmung von Vokalen | |
~ ab 6 – 12 Monate | kanonisches Babbeln/Lallen mit Konsonant-Vokal-Verbindungen allmähliche Reduktion der Lautdiskrimination auf relevante Laute der Erstsprache | Reduktion der Lautproduktion auf Laute der Erstsprache („sprachliche Spezialist:innen“); Produktion aller Vokale und der vorderen Konsonanten [b], [p], [m], [n], [d], [t] | |
~ 2;0-2,5 | Erweiterung um [v], [f], [l] | ||
~ 2;6-2;11 | Erweiterung um [g], [k], [h], [pf], [x] (wie in Buch), [r] | ||
~ 3;0-3;5 | Erweiterung um [j], [ŋ] (wie in Finger) | Überwindung der Auslassung unbetonter Silben | |
~3,0-5;0 | Erweiterung um [ς] (wie in ich), [ʃ] (wie in Fisch) | Überwindung der Vorverlagerung von [g], [k], [ŋ] | |
~ bis 4;5 | Überwindung der Vorverlagerung von [ç] und [ʃ]; Überwindung der Reduktion von Konsonantenverbindungen | ||
~ 6 Jahre | Fehlbildungen der s-Laute („Eis“, „Sonne“) und s-Laut-Verbindungen (ts, ks) können noch auftreten | Stabilisierung und Vervollkommnung des phonologischen Systems |
Die semantisch-lexikalische Ebene umfasst den Wortschatz (Lexikon) sowie die Bedeutung (Semantik). Das Wortwissen ist im sogenannten mentalen Lexikon gespeichert. Quantitative Entwicklungsschritte führen zu einer Vergrößerung des Wortschatzumfangs, während qualitative Aspekte die Vernetzung der gespeicherten Wörter und deren Organisation im mentalen Lexikon (z. B. Oberbegriffe, Synonyme, Gegenteil…) betreffen. Eine stabile Speicherung und eine vielfältige Vernetzung des Wortschatzes tragen auch zu einem stabileren und schnelleren Abruf der Wörter bei.
Alter | Rezeptive Entwicklung | Produktive Entwicklung |
---|---|---|
~ 0;6- 0;9 | Verstehen einiger Nomen im Kontext | |
~ 0;9 | Verstehen einiger alltagsrelevanter Verben | |
~ 0;9 – 0;11 | Verständnis von ca. 50 – 100 Wörtern | Lautmalereien, erste Protowörter |
~ 0;11 – 1,6 | Protowörter und erste Wörter, stark kontextgebundene Verwendung, langsames Wortschatzwachstum, Überdehnung von Wörtern (z. B. Bezeichung aller Tiere als „wauwau“), Unterdehnung von Wörtern (z. B. „Ente“ nur für eigene Badeente) | |
~ 1;5- 2;0 | Verständnis von ca. 100 – 200 Wörtern | Wortschatzerweiterung: vor allem Nomen, Partikel („auf“, „ab“), soziale Wörter („Hallo“, „Danke“) Wortschatzumfang mit 1;6 Jahren: ca. 50 produktive Wörter |
~ 1;6- 2;6 | zunehmender Erwerb von Verben und Adjektiven häufig (aber nicht zwingend) Einsetzen des „Wortschatzspurts“: schnelles Wortschatzwachstum (mit großen interindividuellen Unterschieden) |
|
~ 2;0 – 2;8 | erste Wörter zur Benennung interner Zustände (z.B. Gedanken, Gefühle) Wortschatzwachstum in allen Wortarten (auch Präpositionen und erste Konjunktionen) Wortschatzumfang mit 2;6: ~200 – 500 Wörter |
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~ 3;0 | Wortschatzumfang mit 3;0: ~500 - 2000 Wörter Neustrukturierung des mentalen Lexikons: Oberbegriffe, Unterbegriffe |
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~ 6;0 | ~ 10.000 – 14.000 Wörter | ~ 5000 -6000 Wörter zunehmende Wortschatzerweiterung durch Derivation (Ableitung von bereits bekannten Wörtern) |
Auf der syntaktisch-morphologischen Ebene befindet sich die Grammatik mit den Teilbereichen der Satzbildung (Syntax) und der grammatisch motivierten Veränderung von Wörtern (Morphologie).
Alter | Rezeptive Entwicklung | Produktive Entwicklung |
---|---|---|
~ 0;11 – 1;8 | Sätze werden anhand von Schlüsselwörtern interpretiert („Schlüsselwort-Strategie“) | überwiegend Einwortäußerungen |
~ 1;6 – 2;0 | ab 18 Monaten beginnendes Verständnis einfacher Sätze (Subjekt-Verb-Objekt-Struktur) „Kind-als-Handelnder“-Strategie: Verben bezieht das Kind zunächst auf sich selbst pragmatische Strategie: Sätze werden anhand der vorhandenen Erfahrungen und Erwartungen interpretiert | Zweiwortäußerungen Fragen werden durch Intonation ausgedrückt (noch ohne Fragewörter) altersübliche Auslassung von Nomen, Verben, Funktionswörtern Verben unflektiert am Satzende |
~ 2;0 – 2;6 | beginnende grammatische Strategie: Subjekt und Prädikat werden erkannt | steigende Äußerungslänge Auftreten von Auxiliaren, Modal- und Kopulaverben beginnende Verbmarkierung im Präsens (3. Person Sing., 1. Person Sing.) und Verwendung von Partizipien |
~ 2;6 – 3;0 | Erwerb der Verbzweitstellung im Hauptsatz (mit Subjekt-Verb-Inversion) Subjekt-Verb-Kongruenz: Erwerb der 2. Person Sing. als letzte Form beginnender Genuserwerb / Artikelverwendung regelmäßige Pluralbildung regelmäßige Vergangenheitsbildung |
|
~ 3;0 – 3;6 | gutes Sprachverständnis in Alltagssituationen, Verständnis mehrgliedriger Aufforderungen, Interpretation von Sätzen in der Reihenfolge des Gesagten | beginnender Kasuserwerb in der Reihenfolge Nominativ, Akkusativ, Dativ; Verknüpfung von Hauptsätzen durch „und“, „oder“; Nebensätze mit Verb-Endstellung |
4. Lebensjahr bis ins Schulalter | zunehmende Korrektheit der Kasusmarkierung zunehmende Korrektheit unregelmäßiger Formen Zunahme der Äußerungslänge häufigere Nebensatzverwendung und steigende Komplexität der Sätze | zunehmende Korrektheit der Kasusmarkierung zunehmende Korrektheit unregelmäßiger Formen Zunahme der Äußerungslänge häufigere Nebensatzverwendung und steigende Komplexität der Sätze |
Neben den oben beschriebenen formalen Aspekten der Lautsprache beschreibt die pragmatische Ebene die Kommunikation im Kontext und somit die Sprachverwendung, bedient sich darüber hinaus aber auch nicht-sprachlicher Kommunikationsmittel.
Alter | Pragmatische Entwicklung |
---|---|
erste Lebensmonate | Reaktion auf die Aufmerksamkeit der Bezugspersonen (z. B. auf Lächeln); Aufforderungen durch Schreien, zunehmend auch durch Intonation; mimischer Ausdruck von Emotionen; frühe dyadische Interaktionen mit Turn-Taking |
ab ~ 0;9 – 1;0 | beginnende Initiierung von Interaktionen; ab ~ 0;10: Verständnis der Zeigegeste ab ~ 0;11: Verwendung der Zeigegeste; Einfordern von Objekten und Handlungen durch Gesten und durch Lenken der Aufmerksamkeit der Bezugsperson → Verwendung des triangulären Blickkontakts; Verständnis von Widerspruch“ und „Nein!“ sowie aktiver Ausdruck von Ablehnung; Begrüßen und Verabschieden durch Gesten und Vokalisationen |
~ 1;0 - 1;6 | Aufforderungen durch Kombination von Gesten und ersten Wörtern; Fähigkeit, um Hilfe zu bitten; Verwendung sprachlicher sozialer Routinen („Hallo“, „Tschüss“…); Einführung von Themen in die Interaktion (durch Benennen von Objekten oder Handlungen in Form von Einzelwörtern) |
ab ~ 1;6 | sprachlicher Ausdruck von Eigenständigkeit („Allein machen!“); erste Benennung von Emotionen; Turn-Taking durch verbalen Sprecher:innenwechsel |
~ 2;0 – 3;0 | unspezifisches Nachfragen bei Nicht-Verstehen („Hä?“) |
ab ~ 3;0 | kompetenter sprachlicher Ausdruck von Aufforderungen; erstes Erzählen einfacher Geschichten |
ab ~ 4 Jahren | sprachliches Verhandeln, Argumentieren; beginnender Zuhörer:innenbezug beim Erzählen (Beachten des Vorwissens de Interaktionspartner:innen); beginnende Instruktionsfähigkeit (z. B. gegenüber der:dem Spielpartner:in) |
~ 5 – 7 Jahre | längere und komplexere Erzählungen; Beibehalten eines Themas in kurzen Interaktionssequenzen; Spaß an der Verwendung tabuisierter Wörter; beginnendes Verständnis und Erzählen einfacher Witze |
ab ~ 7 Jahren | zunehmende Fähigkeit, Gefühle differenziert zu versprachlichen; beginnendes Verständnis und Erzählfähigkeit komplexerer Witze |
Achhammer, B. & Büttner, J. et al (2016). Pragmatische Störungen im Kindes- und Erwachsenenalter. Stuttgart: Thieme Verlag Clahsen, H. (1986). Die Profilanalyse. Ein linguistisches Verfahren für die Sprachdiagnostik im Vorschulalter. Berlin: Marhold-Verlag
Grimm, H. (2000). Enzyklopädie der Psychologie. Sprachentwicklung. Themenbereich C, Serie III, Band 3. Göttingen: Hogrefe
Sachse, S. & Bockmann, A. et al (2020). Sprachentwicklung. Entwicklung – Diagnostik – Förderung im Kleinkind- und Vorschulalter. Berlin: Springer-Verlag
Siegler, R. & Eisenberg, N. et al (2016). Die Entwicklung des Sprach- und Symbolgebrauchs. In: Siegler, R., DeLoache, J. & Eisenberg, N. (Hrsg.): Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter. München: Elsevier, Spektrum Akademischer Verlag
Szagun, G. (2013). Sprachentwicklung beim Kind. Ein Lehrbuch. 5., aktualisierte Auflage. Weinheim: Beltz Verlag
Layout und Gestaltung: Christian Albrecht, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg