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Temperament und Persönlichkeit

Zitiervorschlag: Gingelmaier, S., Brandstetter, R., Annecke, L. (2020). „Temperament und Persönlichkeit“. Abgerufen von URL https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:verhalten:theorien_verhalten:temperament_persoenlichkeit, CC BY-SA 4.0

Kurzbeschreibung„Das Temperament eines Kindes umfasst stabile behaviorale und emotionale Verhaltensreaktionen, wie beispielsweise Ausdauer, Intensität oder Regelmäßigkeit“ (Lohaus, Vierhaus & Maass, 2010). Die Temperamentsmerkmale können in früher Kindheit erkannt werden und sind sogar mit pränatalem Verhalten verbunden. Außerdem sind sie stark von der Genetik prädisponiert (vgl. ebd.).
Die Temperamentskonzepte haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte entwickelt. Aktuell werden zur Vorhersage kindlichen Verhaltens vor allem folgende sechs Dimensionen beachtet.
1. Angstvolles Unbehagen/ Hemmung
2. Reizbares Unbehagen
3. Aufmerksamkeitsspanne und Ausdauer
4. Aktivitätsniveau
5. positiver Affekt/ Annäherung
6. Verträglichkeit bzw. Anpassungsbereitschaft (Siegler et al., 2016).
Zeigen Kinder in diesen Temperamentsdimensionen bereits im Kleinkindalter Auffälligkeiten, so ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie diese auch als Erwachsene noch aufweisen. Dies wiederum hat Auswirkungen auf die soziale Angepasstheit Heranwachsender. Sie hatten eher Schwierigkeiten im Umgang mit ihren Mitmenschen, waren öfters in kriminelle Handlungen involviert und häufiger arbeitslos (Siegler et al., 2016).
Wie kann die Theorie beim Erklären von Verhalten helfen?- Es lässt sich feststellen, dass das kindliche Temperament zweifellos eine Bedeutung für die sozial-emotionale Entwicklung und deren Diagnostik hat.
- Kinder, mit einem als „schwierig“ empfundenen Temperament sind nicht selten Opfer von Misshandlung (Siegler et al., 2016). Eltern verlieren wegen der vielen Konflikte und Erziehungsprobleme leichter die Geduld, was zu einem Teufelskreis der Gewalt führen kann. So entwickeln misshandelte Kinder aggressives Verhalten und haben mehr Konflikte mit ihren Mitschülern.
- Solche Kinder sind dadurch im Kern oft verunsichert und unaufmerksam. Sie benötigen mehr Anerkennung, Lob und Unterstützung ihrer Lehrkräfte.
GrenzenEs ist allgemein anerkannt, dass Menschen in ihren Wesens- oder Temperamentsmerkmalen genetisch disponiert sind bzw. diese sehr früh erwerben, teilweise bereits intrauterin. Das generelle Maß (nie das individuelle) an primärer Erblichkeit solcher Merkmale konnte über Zwillingsstudien relativ gut bestimmt werden.
Nichtsdestotrotz gilt: Hohe Erblichkeit bedeutet nicht, dass die Wesens- und Temperamentsmerkmale unveränderlich sind (Siegler et aal., 2016, S. 93). Das Wissen um (gruppenbezogene) Erblichkeit insbesondere in Form von Temperamentmerkmalen ist für die sonderpädagogische Diagnostik als vollkommen irrelevant zu bezeichnen, weil Erblichkeit in der individuellen Diagnostik nichts über den einzelnen jungen Menschen auszusagen vermag. Jegliche Rückschlüsse wären spekulativ, ziellos und könnten zu einem Stigmatisierungsprozess führen der letzten Endes dann doch Unveränderlichkeit bedeuten würde.
Diagnostische Fragestellungen im
Zusammenhang mit der Theorie
- Angstvolles Unbehagen/ Hemmung: Ist Ängstlichkeit oder Hemmung häufig zu beobachten?
- Reizbares Unbehagen: Ist Reizbarkeit und/oder ein Gefühl von Unbehagen häufig zu beobachten?
- Aufmerksamkeitsspanne und Ausdauer: Wie lange kann sich ein Kind auf eine Aktivität einlassen? Welche Bedingungen führen zur Aufrechterhaltung oder zum Abbruch?
- Aktivitätsniveau: Wie aktiv zeigt sich ein Kind in welcher Situation?
- Positiver Affekt/ Annäherung: Sind positive Affekte und angemessen angstfreie Annäherungen häufig zu beobachten?
- Verträglichkeit bzw. Anpassungsbereitschaft: Wie verträglich bzw. anpassungsbereit können Kinder mit Mitmenschen agieren und sich auf die Anforderungen der sozialen Umwelt einstellen? (Siegler et al., 2016).
Konkrete diagnostische Methoden im
Zusammenhang mit der Theorie
- JTCI
- IKT
Impulse für die Gestaltung individueller BildungsangeboteEs handelt sich um eine sehr grundlegende Theorie, die nicht direkte auf individuelle Bildungsangebote anwendbar ist. Impulse für die Gestaltung individueller Bildungsangebote könnten aus den diagnostischen Fragen abgeleitet werden. Sehr viel konkretere Impulse bieten hier zum Beispiel die vier großen psychologischen Theorien liefern (Psychoanalyse, Lerntheorie, Systemtheorie, Humanistische Theorie).

Literatur

Zentner, R. Marcel (1998). Die Wiederentdeckung des Temperaments. Eine Einführung in die Kinder-Temperamentsforschung. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag.

Lohaus, A., Vierhaus, M., & Maass, A. (2010). Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters. Heidelberg: Springer-Verlag.

Siegler, R., Eisenberg, N., De Loache, J., & Saffran, J. (2016). Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter. Heidelberg: Springer-Verlag.

Schmitt, M., & Altstötter-Gleich, C. (2010). Differentielle Psychologie und Persönlichkeitspsychologie. Kompakt. Weinheim, Basel: Beltz Verlag.

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Layout und Gestaltung: Christian Albrecht, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg