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Grenzsteine der kindlichen Entwicklung: sozial, emotional, motorisch und kognitiv

Zitiervorschlag: Rieß, A. (2020). „Grenzsteine der kindlichen Entwicklung: sozial, emotional, motorisch und kognitiv“. Abgerufen von URL https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:verhalten:theorien_verhalten:grenzsteine, CC BY-SA 4.0

KurzbeschreibungAls Grenzsteine der frühkindlichen Entwicklung werden Entwicklungsziele bezeichnet, die von etwa 90-95 Prozent einer definierten Population gesunder Kinder bis zu einem bestimmten Alter erreicht worden sind (Laewen 2005 ). Die benannten Grenzsteine sind unerlässliche Durchgangsstadien der kindlichen Entwicklung in den westlichen Zivilisationen. Die Grenzsteine in der frühkindlichen Entwicklung werden sowohl in der Pädiatrie als auch in den Institutionen der frühkindlichen Bildung zur Beobachtung und zur Bestimmung des Entwicklungsstandes genutzt. In den letzten Jahren wurden dazu passend formelle und informelle diagnostische Möglichkeiten entwickelt. Die „Grenzsteine der Entwicklung“ selbst sind jedoch kein Diagnoseinstrument, sondern lenken die Aufmerksamkeit auf wichtige Entwicklungsschritte in den jeweiligen Altersstufen. Grenzsteine sollen eine Warnfunktion haben und dazu auffordern, ein Kind in seiner weiteren Entwicklung genau zu verfolgen oder eine vertiefende Entwicklungsdiagnostik zu veranlassen.
Folgende Bereiche werden benannt:
- Grenzsteine der Körpermotorik
- Grenzsteine der Hand-Fingermotorik
- Grenzsteine der Sprachentwicklung
- Grenzsteine der kognitiven Entwicklung
- Grenzsteine der sozialen Kompetenz
- Grenzsteine der emotionalen Kompetenz

Ausschnitt aus der Tabelle der Grenzsteine (vgl. Laewen 2005)

Alter des KindesGrenzstein der KörpermotorikGrenzstein der
Hand-Finger-Motorik
Grenzstein der SprachentwicklungGrenzstein der
kognitiven Entwicklung
Grenzstein der
sozialen Kompetenz
Grenzstein der
emotionalen Kompetenz
36 Monate- Kind hüpft beidbeinig von einer Treppenstufe mit sicheren Gleichgewichtskontrolle
- Kind läuft mit deutlichem Armschwung, umsteuert Hindernisse und kann plötzlich anhalten
- Kind blättert Buch- oder Journalseiten einzeln um
- Kind kann präzisen Dreifinger – Spitzgriff (Daumen, Zeige- Mittelfinger) zu Manipulation kleiner Gegenstände benutzen
- Kind spricht in Drei- bis Fünf- Wortsätzen (Kombinationen von Nomina, Hilfsverben, Präposition, adverbialer Bestimmung von Zeit und Raum)
- Kind verwendet eigenen Vor – und Rufnamen
- Kind malt und kritzelt, wenn auch oft noch wenig gestaltend, es kommentiert oft, wen oder was es gemalt hat.
- Kind spielt konzentriert und intensiv „Als ob Spiele“, Spiel mit Puppen, Autos, Bausteinen, Lego, Playmobil u.ä
- Kind spielt gemeinsam mit anderen Kindern über mindestens fünf Minuten, spricht, tauscht Gegenstände aus
- Kind möchte, soweit möglich, bei häuslichen Tätigkeiten mithelfen, Kind ahmt Tätigkeiten Erwachsener im Rollenspiel nach
- Kind kann für einige Stunden bei ihm bekannten Personen, auch außerhalb seines Zuhauses ohne Bezugsperson bleiben
Wie kann die Theorie beim Erklären von Verhalten helfen?Jeder Entwicklungsschritt von Kindern ist Grundlage für die nächste Lernentwicklungen und damit für eine erweiterte Teilhabe. Können Grenzsteine nicht ausreichend erreicht werden, so hat dies Konsequenzen für die Wahrnehmung des Alltags, das Verstehen, Interpretieren und Handeln in sozialen Situationen und die Möglichkeit den Alltag, Gegenstände und das eigene Leben mit zu gestalten. So kann es Aufgrund von fehlenden Entwicklungsschritten in der Sprachproduktion oder beim Sprachverstehen zu einer dauerhaften Überforderung für Kinder kommen. Eine Interaktion im Spiel könnte anders wahrgenommen werden, woraus eine für andere Kinder nicht angemessenene Reaktion abgeleitet wird. Bei vielfachem Erleben ähnlicher Situationen kommt es evtl. zu Ablehnung und Frust. Entsprechend der Erlebnisse werden Handlungsstrategien in der Interaktion als erfolgreich oder weniger erfolgreich erlebt und damit eher vermieden oder vermehrt angewendet. Die entsprechend gemachten Erfahrungen können Grundlage auch für in späteren Jahren beobachtetes Verhalten sein. Die:Der Diagnostiker:in muss dabei bewerten, ob das Verhalten eine Reaktion z.B. auf andauernde Überforderung, Schutz des Selbstwertes oder eine fehlende Strategie sein könnte.
GrenzenFallspezifisch kann der Zusammenhang zwischen erreichten Grenzsteinen und entsprechender positiver bzw. negativer Wirkung auf die Entwicklung und Interaktion eines Kindes nicht eindeutig und unmittelbar mit einem beobachteten Verhalten hergestellt werden. In der Folge der diagnostisch erfassten Grenzsteine können jedoch mit der Hilfe von Erklärtheorien wie z.B. Lernen am Modell, Behavioristische Ansätze, Kenntnisse von Wirkung von Scham und Beschämung oder Motivation usw. Zusammenhänge zwischen dem Entwicklungstand und dem Verhalten erkannt werden. Die:Der Diagnostiker:in muss auf der Basis der biografischen Kenntnisse und der Fragestellung entscheiden, bis zu welchem Alter des Kindes/ Jugendlichen es hilfreich sein kann die Grenzsteine der Entwicklung in den Blick zu nehmen.
Diagnostische Fragestellungen im
Zusammenhang mit der Theorie
- Was ist über die Entwicklungsschritte des Kindes in den im Alter von 0 – 6 Jahren bekannt?
- Was war für die Entwicklung förderlich?
- Was war für die Entwicklung eher hinderlich?
- In welche Lebenssituationen ist das Kind durch das nicht Erreichen der Grenzsteine gekommen sein? (Überforderung/ Emotionale Belastung/ Nicht verstanden werden etc.)
Konkrete diagnostische Methoden im
Zusammenhang mit der Theorie
Aus dem Konzept der Grenzsteine wurden formelle und informelle Instrumente entwickelt. So hat z.B. „infans“ die Kategorien der „Grenzsteine“ in eine Form gebracht, die sie für den Gebrauch in der Kitapraxis handhabbar macht. Kuno Bellers – Entwicklungsskalen 0-9 (Beller 2016) nutzen einem ähnlichen Aufbau und verfolgen eine entsprechende Zielsetzung. Es werden jedoch etwas andere Kategorien verwendet.
Das Testverfahren ET 6-6 basiert auf dem Konzept der Grenzsteine. Für jede Altersgruppe kommen altersspezifische Testaufgaben zum Einsatz und bieten der:dem Diagnostiker:in Beobachtungsmöglichkeiten.

Literatur

Andres, B., Laewen, H.-J.(2005). Handlungskonzept und Instrumente. In: Pesch. L. (Hrsg.) Elementare Bildung. Weimar, Berlin: verlag das net

Andres, B., Laewen, H.J. (2016). Das infans-Konzept der Frühpädagogik. In: Kindergarten heute. Wissen kompakt. Pädagogische Handlungskonzepte von Fröbel bis heute. S. 44-51. Freiburg

Bellers, S. (2016). Entwicklungstabelle 0-9. Dr. Simone Beller, Forschung und Fortbildung in der Kleinkindpädagogik. Berlin

Michaelis R. (1999). Entwicklungsneurologie und Pädiatrie. Das Prinzip der essentiellen Grenzsteine, Stuttgart

Petermann, F. Stein I.A. (2000). Entwicklungsdiagnostik mit dem ET 6-6. Swets Testservice, Swets u. Zeitlinger, Lisse, Niederlande

Siegler R., Eisenberg N., De Loache J.; Saffran J. (2016). Entwicklungs-psychologie im Kindes-und Jugendalters. Berlin Heidelberg

Largo, R.(2007). Babyjahre - Die frühkindliche Entwicklung aus biologischer Sicht. München:Piper.

Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.) (2011): Orientierungsplan für Bildung und Erziehung in baden-württembergischen Kindergärten und weiteren Kindertageseinrichtungen. Fassung vom 15. März 2011. http://kindergaerten-bw.de/site/pbs-bw-new/get/documents/KULTUS.Dachmandant/KULTUS/Projekte/kindergaerten-bw/Oplan/Material/KM-KIGA_Orientierungsplan_2011.pdf (Abruf 03.12.20)

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