Zitiervorschlag: Kopp, S. (2020): Rett-Syndrom F84.2 - Intervention konkret. Abgerufen von Url https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:werkzeug:verhalten:themen:themenfeld5:d021, CC BY-SA 4.0
Beschreibung des Verhaltens (Auszug) | - Bei direkter Ansprache (soziale Interaktion) mit leicht erhöhter Lautstärke der Stimme und deutlicher Prosodie (variationsreiches Sprechen) sowie einem Aufrechterhalten der Ansprache über 1-2 Minuten führt S. ihren Handrücken wiederholt zum Mund und berührt ihren geöffneten Mund sowie ihre Zähne. |
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Entstehende Folgen und Einschränkungen durch das gezeigte Verhalten (Auszug) | - Ablenkung von der sozialen Interaktion und deren Inhalt - Blickkontakt geht verloren, ggf. Rückzug des Kommunikationspartners - der Handrücken ist mit Speichel bedeckt - ggf. Rückzug des Gegenübers |
Fragestellung | - Warum führt S. während direkten sozialen Interaktionen (vor allem Paarsequenzen mit und ohne Einbezug von Objekten) ihren Handrücken wiederholt zum Mund und berührt mit diesem ihren geöffneten Mund sowie ihre Zähne? - Wozu könnte dieses Verhalten dienen? - Wie kann dieses Verhalten zu S`s. Vorteil verändert werden? |
Verhalten verstehen wollen: Eingangshypothesen | - S. drückt mit diesem Verhalten Freude, Interesse oder Erregung aus - S. drückt Überforderung aus |
Verhalten verstehen wollen: diagnostische Daten und theoriegeleitete Überprüfung | Themenfelder: Individuelle Voraussetzungen und Gesundheit - Kommunikation: stark eingeschränkte kommunikative Fähigkeiten, gezielte Kontaktherstellung sehr erschwert, inkonsistente Lautäußerungen - häufig Fokussierung auf funktionale Prozesse - schnelles Erschrecken und schnelle Ermüdung - Literaturrecherche (Sarimski 2014): Vermutlich verlieren Kinder mit dem Rett-Syndrom die Fähigkeit Reize über mehrere Kanäle aufzunehmen und zueinander in Beziehung zu setzten, also auf eine Situation als ganze zu reagieren. Neue und intensive Reize überfordern sie daher leicht. Es handelt sich um eine syndromspezifische Stereotypie zur Reizverarbeitung! Bspw. schützt autoaggressives Schlagen vor Überforderung durch eine soziale Interaktion dienen. |
Erklär-Hypothese | Die subjektive Funktionalität von Samiras Verhalten liegt darin begründet, mögliche stressbedingte Reaktionen zu regulieren, welche aufgrund einer eingeschränkten Reizverarbeitung während sozialen Interaktionen entstehen. |
Kooperative Bildungs- und Erziehungsplanung sowie individuelle Bildungsangebote | Zielsetzungen: - Abbau des möglichen Überforderungsempfindens - Erhöhung und Stabilisierung der Dauer des Blickkontaktes in Bezug auf Interaktionspartner und Objekte (Lernhaltung) - Schutz vor Verletzungen und Verringerung der Bespeichelung Individuelle Bildungsangebote - Im Hinblick auf eine mögliche Überforderung: regelmäßige und gesteuerte kurze soziale Interaktionen - (Paarsequenzen) mit wenigen wechselnden Interaktionspartnern über den Schultag verteilt, zunächst nur leichte Steigerung der sozialen Ansprache und geringe Anzahl an Personen, dann ggf. langsame Steigerung der Situationshäufigkeit und Länge - Aufmerksamkeit geteilt: mehr Zeit geben, wiederholt gleichen Impuls setzen Bei Verstärkung des Verhaltens: Bedecken des Handrückens mit einem für S. (im Mund) angenehmen Material (Hilfsmittel) |
Klaus Sarimski: Entwicklungspsychologie genetischer Syndrome; Hogrefe 2014. Wolfgang Dworschak et al.: Herausforderndes Verhalten und freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung. In: Teilhabe 4/2018, Jg. 57, S. 414-458.
Layout und Gestaltung: Christian Albrecht, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg