ICD 10
bzw. 11 |
F 50.1 Anorexia nervosa: Die Anorexia ist durch einen absichtlich selbst herbeigeführten oder aufrechterhaltenen Gewichtsverlust charakterisiert. Zu den Symptomen gehören eingeschränkte Nahrungsauswahl, übertriebene körperliche Aktivitäten, selbstinduziertes Erbrechen und Abführen und der Gebrauch von Appetitzüglern und Diuretika.
F 50.2 Bulimia nervosa: Ein Syndrom, das durch wiederholte Anfälle von Heißhunger und eine übertriebene Beschäftigung mit der Kontrolle des Körpergewichts charakterisiert ist. Dies führt zu einem Verhaltensmuster von Essanfällen und Erbrechen oder Gebrauch von Abführmitteln.
F 50.9 Binge – Eating (DSM IV): Wiederholte Episoden von „Fressattacken“ ohne die für die Bulimia Nervosa charakteristischen regelmäßigen, einer Gewichtszunahme gegensteuernden Maßnahmen.
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Statistik |
Essstörungen Allgemein:
Über 5 Millionen Menschen haben in Deutschland Essstörungen
Essstörungen können in jedem Alter auftreten
Beginn in der Pubertät oder frühen Erwachsenenalter
Bei Mädchen meist zwischen 15 und 22 Jahren
Bei Jungen zwischen 18 und 26 Jahren
90% der betroffenen sind weiblich
Ca. 7% der Schüler:innen haben eine Essstörung
1/3 der Jugendlichen haben Übergewicht
6% der Jungen und 8% der Mädchen sind adipös
8% der Jugendlichen haben Untergewicht
2/3 aller Jugendlichen wären gerne schlanker
Die Hälfte der unter 15-jährigen Mädchen hält sich trotz Normalgewicht für zu dick
25% der weiblichen Jugendlichen haben bereits eine Diät versucht
7% der männlichen Jugendlichen haben bereits eine Diät versucht
95% der Diäten waren erfolglos
Anorexia nervosa/ Magersucht F 50.0
90% der Betroffenen sind weiblich
Beginnt zu 90% vor dem 20. Lebensjahr, oft mit 14 Jahren
Inzidenz der weiblichen 15- bis 25-jährigen pro Jahr: 0,06%
1% der Frauen entwickelt in der Gesamtlebensspanne eine Anorexie
Risikogruppe (Models, Tänzer, Schauspieler etc.)
Erkranken bis zu achtmal so häufig
Anorexie ist eine der häufigsten Todesursachen von Mädchen zwischen 15 und 25 Jahren
Je früher eine Behandlung einsetzt, desto geringer das Sterberisiko
Die Hälfte der Betroffenen wird durch die Therapie dauerhaft geheilt
Bei einem Drittel verläuft die Anorexie chronisch
Bulimia nervosa F50.2
95% der Betroffenen sind weiblich
¾ erkranken vor dem 22. Lebensjahr
1 bis 2% aller Jugendlichen sind betroffen
Therapiebeginn im Schnitt fünf Jahre nach Ersterkrankung
Nach Therapie haben 50% keine Essanfälle mehr
20% zeigen nach der Therapie leichte Verbesserungen
Binge – Eating DSM-IV
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Ursachen und Risikofaktoren |
Über die letztendlichen Ursachen der jeweiligen Essstörung wird spekuliert. Die Aufstellung gibt an, welche Risikofaktoren aktuell angenommen werden.
Biografische Entwicklung
Zugehörigkeit zur Mittelschicht oder Oberschicht
Opfer sexuellen Missbrauchs
Strenges und häufiges Diäthalten
Stressauslösende Situationen z.B. Trennung der Eltern
Familiendynamik
Familie mit hohem Harmonieanspruch
Familienklima, das wenig Raum für Individualität lässt
Besonders starke Eltern – Kind – Beziehungen
Wenige Gefühlsäußerungen im Familiensystem
Wenig Offenheit bezüglich Konflikten im Familiensystem
Beziehungsprobleme der Eltern
Uneinheitliche erzieherische Schwerpunktsetzung der Eltern
Hoher Leistungsdruck der Eltern an Kinder
Rigides Erziehungsverhalten der Eltern
Übergewichtige Eltern
Familie, indem Schlankheit und Schönheit besonders wichtig sind
Strenge und häufige Diäthaltung der Eltern
Selbst
Überschlankes Schönheitsideal
Mangelndes Selbstwertgefühl / Gefühl der Unzulänglichkeit
(Negative) Perfektionistische Grundeinstellung
Hohes Kontrollbedürfnis
Unsicherheit über Zugehörigkeit
Starkes Bedürfnis nach Anerkennung
Unbehagen gegenüber Sexualität
Unsicherer Umgang mit Gefühlen
Besonders hohe oder besonders niedrige Sensibilität
Zwanghaftigkeit / Kontrollbedürfnis
Individuelle Vorrausetzung
Weibliches Geschlecht
Mangelnde Bewältigungsstrategien für Probleme und Belastungen
Frühe Beschäftigung mit dem Thema Sexualität
Überdurchschnittliche Intelligenz
Genetische Disposition
Gesundheit
Psychische Störung, vor allem Depression, Angst, Sucht
Frühes Einsetzen der ersten Monatsblutung
Peerbeziehung
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Komorbidität (je nach Quelle) |
Häufig entwickeln Jugendliche mit Essstörungen auch Depression, Angst- und/oder Zwangsstörungen
Risiko auf chronische Müdigkeit, Schlafstörungen, chronische Schmerzen, Verhaltensstörungen oder Persönlichkeitsstörungen ist 3 bis 4mal so hoch im Vergleich zur Gesamtbevölkerung
Suizidrisiko 5 Mal so hoch im Vergleich zur Gesamtbevölkerung
Suchtrisiko 4 bis 5 Mal so hoch im Vergleich zur Gesamtbevölkerung
25% der betroffenen Jugendlichen greifen zum selbstverletzendem Verhalten
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Symptome |
Folgende Symptome werden beschrieben:
Anorexie
Körpergewicht unter 85% des alterstypischen Gewichts
Gewichtsabnahme ist gewollt und selbst herbeigeführt
Absichtliches Halten des Gewichts trotz Wachstum
Selbstwahrnehmung als zu dick
Angst davor, zuzunehmen
Beständiges Diäthalten
Beständige Beschäftigung mit dem Thema Essen
Horten von Nahrungsmitteln
Mehrmals tägliches Wiegen
Exzessives Sporttreiben
Überarbeitung
Starkes Leistungsstreben
Hoher Ordnungssinn
Hohes Pflichtgefühl
Ausbleiben der Menstruation
Unfruchtbarkeit
Verlust sexueller Erregbarkeit
Alle Symptome von Unterernährung
Eigenes Essverhalten wird als normal oder zu viel erlebt
Keine Krankheitseinsicht
Bulimie
Wiederkehrende Essattacken, Verschlingen enormer Mengen wie unter Zwang
Absichtliches Erbrechen
Missbrauch von Substanzen wie Rohrreiniger zur Gewichtsreduktion
Diäthalten
Schuld- und Versagensgefühle
Permanente Beschäftigung mit dem Thema Essen
Menstruationsstörung
Unfruchtbarkeit
Selbstwahrnehmung als zu dick
Gestörte Impulskontrolle
Schwanken zwischen Über- und Unterkontrolle
Stehlen von Lebensmittel
Verschuldung
Eher normal- bis übergewichtig als unterernährt
Symptome von Über- bzw. Unterernährung
Binge–Eating
Essanfälle wie Bulimie
Kein absichtliches Erbrechen oder Ähnliches
Betroffene wissen, dass etwas mit ihnen nicht stimmt
Betroffene meist übergewichtig
Schuld und- Versagensgefühle
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Intervention allgemein |
Allgemeine Hinweise:
Unterstützung der Jugendlichen bedarf 1 bis 6 Jahren, bis das Essverhalten wieder dauerhalt normalisiert.
Meist wird eine Kombination aus Psychotherapie, Ernährungsberatung, medizinischer Hilfe, Selbsthilfegruppe und pädagogische Maßnahmen vereinbart.
Pädagogische Maßnahmen können erst nach Störungseinsicht meist nach der erfolgreichen Psychotherapie greifen.
Beziehung und Wertschätzung:
Modell sein:
Modell sein bzgl. Essverhalten und Alltagsbewältigung, bevor Gespräche möglich werden
Offen und glaubwürdig zeigen und reden, dass man selbst nicht perfekt ist und Unterstützung benötigt
Beharrlich bleiben auch wenn Aufgaben nicht auf Anhieb gelingen wollen
Über sich reden und nicht über das, was allgemein angenommen wird
Gesprächsbereitschaft und Gesprächsführung:
Gespräch initiativ suchen, wenn man den Verdacht auf eine Essstörung hat
Gegenseitige Schulzuweisung vermeiden und Ärger und Ablehnung des Jugendlichen aushalten
Vermitteln von Verständnis
Sorge, Ängste und Befürchtungen ausdrücken
Gut Zuhören
Gut informiert über das Thema Essstörungen sein
Faktenwissen, zugrundeliegende Mechanismen, Infos zu Hilfsangebote, Gesundheitliche Auswirkung von Unter, bzw. Mangelernährung
Essstörungen nicht dramatisieren und bagatellisieren
Gesprächsabbruch akzeptieren und in einer neuen Situation wieder aufgreifen
Beratungsstellen
Ermutigen, sich unverbindlich zu informieren
Gerne auch zur Beratungsstelle begleiten
Faktenwissen zu Essstörungen, zugrundeliegende Mechanismen, Bewältigungsmöglichkeiten, Ernährungsberatung und Informationen zu Hilfsangebote.
Selbsthilfegruppe
Schuld- und Schamgefühlen kann in Gemeinschaftserlebnis oft besser begegnet werden
Je früher zu diesem Schritt motiviert werden kann, desto geringer sind die zu erwartenden Komplikationen
Unterricht
Motivation hinterfragen
Metagespräch über Eskalation führen
Klare Strukturen setzen
Lebensfreude zeigen und erlebbar machen
Philosophische, religiöse und spirituelle Aspekte in den Unterricht einfließen lassen
Integration in soziale Gruppen ermöglichen und fördern
Gemeinsam Mahlzeiten ermöglichen und positiv gestalten (moralischer Zeigefinger vermeiden)
Themen zur Identifikation gestalten („Wer bin Ich?“)
Gefühle thematisieren und in einem positiven Kontext erlebbar machen
Bewegung und Sport
Elternarbeit
Psychotherapie
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Baierl, M. (2017). Herausforderung Alltag – Praxishandbuch für pädagogische Arbeit mit psychisch gestörte Jugendlichen. Vandenhoek & Ruprecht.
Beerbom, C.; Netzwerk Schule und Krankheit Universität Potsdam; Bundesverband Aphasie e. V. (Aphasie) (2010). Handreichung Schülerinnen und Schüler mit chronischen Erkrankungen. Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM).
Kizilhan, J. I. (Hrsg.) (2016). Handbuch psychischer Erkrankungen für soziale Berufe; Lehrbuch für Studium und Praxis. VWB - Verlag für Wissenschaft und Bildung.
Kizilhan, J. I. (Hrsg.) (2019). Psychische Störungen. Lehrbuch für soziale Arbeit. Papst sience publisher. 3. Auflage.