Inhaltsverzeichnis

< zurück zur Übersicht

Teil-Ganzes-Vorstellung strukturiert aufbauen

Zitiervorschlag: Marx, C. (2025). „Teil-Ganzes-Vorstellung strukturiert aufbauen“. Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:didaktisierung:teil-ganzes, CC BY-SA 4.0

Lehrperson (zeigt einen 6er-Eierkarton mit sechs Eiern): „Was siehst du?“ Schülerin (erste Klasse): „Eins, zwei, drei (zählt durch Eins-zu-eins- Zuordnung, schaut dann die anderen drei Eier an), hm, ich glaube das sind sechs!“

Bedeutung der Teil-Ganzes-Vorstellung

In diesem Beispiel erfasst die Schülerin die Kardinalität von sechs Eiern, indem sie ihr Teil-Ganzes-Verständnis anwendet.

Das Teil-Ganzes-Verständnis ermöglicht es Kindern, Zahlen als Zusammensetzungen/Zerlegungen aus anderen Zahlen wahrzunehmen. Kinder verstehen also, dass z.B. eine Menge von sechs Eiern (das Ganze) aus unterschiedlichen Teilmengen wie drei und drei oder auch zwei und vier (als deren Teilmengen) zusammengesetzt sein kann. Kinder verstehen somit Zusammenhänge und Zahlbeziehungen zwischen Zahlentripeln (wie in diesem Beispiel das Zahlentripel 6-3-3).

Dieses Verständnis ermöglicht es Kindern, komplexere mathematische Probleme wie bspw. 2 + 4 = ?; 6 - 2 = ?; 6 - 4 = ?; 2 + ? = 6, oder ? + 4 = 6 zu lösen und auf Zahlbeziehungen aufbauende, flexiblere und effektivere Lösungsstrategien zu entwickeln.

Ein solches Teil-Ganzes-Verständnis gilt als signifikanter Prädiktor für die spätere mathematische Entwicklung (Kilpatrick et al. 2001; Kullberg & Björklund 2020). Die Interpretation von Zahlen im Hinblick auf Teil-Ganzes-Vorstellungen wird daher in der Fachdidaktik als die wahrscheinlich größte begriffliche Errungenschaft der frühen Schuljahre angesehen (Resnick, 1983). Dementsprechend ist das Teil-Ganzes-Verständnis eines der fundamentalsten Meilensteine in der frühen mathematischen Bildung (Hunting 2003).


Systematische Förderung des Teil-Ganzes-Verständnisses

In Anlehnung an Resnick (1992) entwickelt sich das Teil-Ganzes-Verständnis vom konkreten Mengenverständnis zu einem abstrakteren Teil-Ganzes-Verständnis.

Die Förderung des Teil-Ganzes-Verständnis sollte dementsprechend auch systematisch vom konkreten zu einem abstrakteren Verständnis erfolgen (Padberg & Benz 2011). Im Folgenden wird exemplarisch ein konkretes Modell zur systematischen Förderung des Teil-Ganzes-Verständnisses vorgestellt, das sogenannte WLAN-Prinzip, in Anlehnung an Wartha et al. (2019).

1. Welche Zahlzerlegungen gibt es? (W)

Auf dieser Ebene sollen Kinder zunächst unterschiedliche Mengen im Zahlenraum bis 10 mit konkretem Material (wie bspw. Wendeplättchen oder Schüttelboxen, siehe z.B. wie mit dieser digitalen Schüttelbox: https://gweax.de/tools/schuettelbox/) zerlegen. Dabei erfahren sie, dass jede Menge in unterschiedliche Teilmengen zerlegt werden kann.

Beispiel mit der Menge 8 (in Anlehnung an Padberg & Benz 2011; Wartha et al. 2019): Um eine systematische Erarbeitung aller Zahlzerlegungen zu ermöglichen, sollte jeweils eine konkrete Ausgangsmenge gezielt in alle möglichen Teilmengen zerlegt werden. Folgende Impulsfragen helfen, alle Zahlzerlegungen einer Zahl systematisch zu finden:

Abbildung 1: Wendeplättchen mit dem Zahlentripel 8-5-3 und systematische Notation Abbildung 1: Wendeplättchen mit dem Zahlentripel 8-5-3 und systematische Notation

Wichtig bei der Arbeit mit unstrukturierten Materialien wie den Wendeplättchen ist es, dass die Kinder die Mengen nicht-zählend erfassen, in dem diese Mengen beispielsweise strukturiert gelegt und notiert werden (z.B. mit der Kraft der 5).


2. Lernen der Zahlzerlegungen (L) Beim Lernen der Zahlzerlegungen geht es darum, dass anhand strukturierter Visualisierungen von Mengen die unterschiedlichen Zerlegungen veranschaulicht werden. Dabei sollte mit den Kindern auch das nicht-zählende Erfassen der jeweiligen Menge konkret besprochen und geübt werden. In vielen Übungsformaten und Schulbüchern wird das Lernen der Zahlzerlegungen nicht ausreichend thematisiert, es ist also zentral, im Unterricht hierfür gezielt weitere Übungen anzubieten und einzuplanen (Marx et al. 2025).

Beispiel mit der Menge 6 (in Anlehnung an Marx et al. 2025): Um alle Zahlzerlegungen der Menge 6 systematisch zu lernen, kann bspw. ein linearer Zehnerstreifen, der die Menge 6 visualisiert und ein quasi-simultanes Erfassen ermöglicht, verwendet werden. An diesem Streifen kann durch eine visuelle Unterteilung der sechs in alle unterschiedlichen Teilmengen mit den Kindern gelernt werden, dass die Menge sechs in sieben verschiedene Zahlentripel zerlegt werden kann: 6-0-6; 6-1-5-; 6-2-4; 6-3-3; 6-4-2; 6-5-1; 6-6-0.

 Abbildung 2: Systematisches Erlernen der Menge 6 und deren Zahlzerlegungen, hier das Zahlentripel 6-0-6 Abbildung 2: Systematisches Erlernen der Menge 6 und deren Zahlzerlegungen, hier das Zahlentripel 6-0-6


3. Automatisieren der Zahlzerlegungen (A)

Wenn die Zahlzerlegungen gelernt sind (und erst dann!), kann mit dem Automatisieren der Zahlzerlegungen begonnen werden. Charakteristisch für diese Stufe sind Übungen, bei denen den Kindern zwei Zahlen oder Mengen eines Zahlentripels präsentiert werden und die Kinder müssen die dritte, fehlende Zahl oder Menge nennen.

Beispiel mit der Menge 10 (in Anlehnung an Marx et al. 2025): Werden z.B. die Zahlzerlegungen der Menge 10 automatisiert, dann kann eine Schüttelbox, wie in Abbildung 3 dargestellt, verwendet werden. Anders als auf der Stufe des Erarbeitens der Zahlzerlegungen ist beim Automatisieren eine Seite der Schüttelbox verdeckt. Die Kinder müssen nun also die gesuchte Lösung auswendig aus dem Gedächtnis abrufen können. Dazu müssen sie bereits ein mentales Modell der (Gesamt-)Menge und der jeweiligen Teilmengen gelernt haben. Achtung: Wird mit den Kindern zu früh auf die Ebene des Automatisierens gewechselt, werden fehleranfälligere, unflexiblere Zählstrategien eingesetzt.

Abbildung 3: Schüttelbox der Menge 10 mit einer verdeckten Seite Abbildung 3: Schüttelbox der Menge 10 mit einer verdeckten Seite


4. Nutzen der Zahlzerlegungen (N) Um sicherzugehen, dass Kinder bei der Bearbeitung von Additions- und Subtraktionsaufgaben auf ihr Teil-Ganzes-Verständnis anstatt auf zählende Strategien zurückgreifen, ist es wichtig, den Zusammenhang zwischen Zahlzerlegungen und den jeweils passenden Additions-/Subtraktionsaufgaben herzustellen. Dies kann bspw. durch Zuordnungsübungen oder das Lösen von Zahlendreiecken erfolgen (siehe Abbildung 4).

Abbildung 4: Zahlentripel zuordnen (links), Zahlendreieck (rechts) Abbildung 4: Zahlentripel zuordnen (links), Zahlendreieck (rechts)


Weiterführende Informationen


Literatur


Layout und Gestaltung: Christian Albrecht, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg