Zitiervorschlag: Theisel, A. (2023). „Sprachfördernder Unterricht“. Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:didaktisierung:sprachfoerdernder_unterricht, CC BY-SA 4.0
Sprachfördernder Unterricht hat einerseits die Aufgabe, Lehr- und Lernprozesse an die Voraussetzungen und Kompetenzen jedes einzelnen Kindes anzupassen, damit diese curriculare Lernziele erreichen bzw. Kompetenzen erwerben können, und andererseits sprachlich rehabilitativ wirksam zu sein (Dannenbauer 1998, Bahr 2007, Baumgartner 2008). Es gilt, sprachliches Lernen zu ermöglichen, Sprachprobleme beheben und – sofern dies nicht möglich ist – zu kompensieren.
Im Planungsprozess ist es deshalb wesentlich, Lerninhalte hinsichtlich sprachlicher Anforderungen zu durchleuchten und sprachliche Hürden zu ermitteln, die für die sprachliche und kognitive Durchdringung des Lerngegenstands hinderlich sein könnten, d.h. den Unterricht sprachsensibel zu planen und zu gestalten (Werner & Theisel 2021).
An folgendem Modell (angelehnt an Farau & Cohn 2001) wird deutlich, dass auf der einen Seite die Analyse der allgemeinen und sprachspezifischen Lernvoraussetzungen der Schüler:innen und auf der anderen Seite die Analyse der Bildungsinhalte unabdingbare Voraussetzungen für die Unterrichtsplanung der Lehrkräfte sind, wenn diese eine optimale Passung an die Bedürfnislagen der Schüler:innen erreichen will.
Zitiervorschlag: Grafik „Wirkungszusammenhänge im Unterricht“ von Theisel, A. (2022). Abgerufen von URL: https://wsd-bw.de/doku.php?id=wsd:didaktisierung:sprachfoerdernder_unterricht, CC BY-SA 4.0
Anhand der im Modell dargestellten Wirkungszusammenhänge werden auch Chancen deutlich, wie unterrichtliches Handeln sprachfördernd gestaltet werden kann.
So bieten sich auf der Ebene der Unterrichtsinhalte und der Auseinandersetzung damit in der Planungs- und Umsetzungsphase vielfältige Möglichkeiten:
Darüber hinaus ist die Gestaltung der Beziehungen, die in einer Klasse möglich sind, eine weitere Chance:
In der Auseinandersetzung der Schüler:innen mit dem Unterrichtsgegenstand bieten sich hier weitere Chancen:
Dies kann nur auf dem Hintergrund einer ausreichenden Kenntnis der Lernvoraussetzungen, Stärken und Interessen der Kinder geschehen und erfordert eine konsequente individuelle Lern- und Entwicklungsbegleitung (ILEB). In der Folge sollen die wesentlichen Qualitätsmerkmale sprachförderlichen Unterrichts zusammengefasst werden (Theisel 2014 a/b, Mayer 2021).
Grundlage allen Lernens ist eine stabile, wertschätzende Beziehung zwischen Lehrkräften und Schüler:innen sowie der Schüler:innen untereinander. Diese hat Einfluss auf die Art und Weise, wie im unterrichtlichen Kontext kommuniziert wird. Grundlage für gelingende Kommunikation ist das Zutrauen in die eigenen kommunikativen Fähigkeiten, die Gewissheit, dass Kommunikationsversuche erfolgreich und gewinnbringend für den einzelnen sind. Häufige Erfahrungen, nicht verstanden oder nicht ernst genommen zu werden, verunsichern und können zum Rückzug aus Kommunikationssituationen führen. Aus diesem Grund sind Wertschätzung und Würdigung von Redebeiträgen der Schüler:innen durch die Lehrkräfte unverzichtbar. Jedes einzelne Kind sollte im Unterricht immer wieder positive Kommunikationserfahrungen machen können. Dazu gehört nicht nur die Verbalsprache, sondern auch der Einbezug von Mimik und Gestik. Stumme Impulse ermöglichen es den Schüler:innen, selbst zu Wort zu kommen und eigene Gedanken und Gefühle zu formulieren.
Die Arbeit mit festen Strukturen und Ritualen gibt den Schüler:innen emotionale und strukturelle Sicherheit und hilft, Abläufe verlässlich zu gestalten. Dadurch werden Ressourcen für inhaltliches Lernen frei. Insbesondere Kinder, die Mühe haben, eigene Arbeitsprozesse zu strukturieren und Handlungen zu planen, profitieren von äußeren Strukturen. Das Besprechen von Tages- und Arbeitsabläufen, von Arbeitsanweisungen o.ä. sowie deren konsequente Visualisierung erleichtern die Orientierung und ermöglichen, dass Kinder sich immer wieder rückversichern können, wenn sie Informationen vergessen oder nicht verstanden haben.
Bei der Planung des Unterrichts muss überlegt werden, welches Wortmaterial den einzelnen Kindern unbekannt sein könnte, wie dieses eingeführt und verankert werden kann, um den Wortschatz der Kinder zu erweitern und erfolgreichen Wortabruf sicherzustellen. Während des Unterrichtsprozesses sollte das Verständnis durch Visualisierungen, Wiederholungen, Ermunterung zum Nachfragen, Worterklärungen u.ä. gesichert werden. Es ist nicht davon auszugehen, dass sprachbeeinträchtigte Kinder von sich aus Nichtverstehen signalisieren (Schönauer-Schneider & Eberhardt, 2017).
Die vergleichsweise lange Zeit, die Kinder im Unterricht verbringen, ermöglicht effektive Förderung, die additive Maßnahmen kaum in derselben Weise leisten können. Hierzu ist eine enge Verzahnung sprachfördernder Maßnahmen mit den Unterrichtsinhalten und -methoden notwendig (Reber & Schönauer-Schneider, 2022). Dazu gehören:
Auf diesem Hintergrund kann auch der Schriftspracherwerb gelingen, der eng mit mündlicher Sprachentwicklung verbunden ist und auf gemeinsamen Basisfunktionen beruht.
Eine besondere Rolle spielt dabei die Lehrer:innensprache, die durch Betonung, Pausen, Prosodie etc. zur Hervorhebung wesentlicher oder neuer Inhalte oder sprachlicher Strukturen eingesetzt werden kann, um die Aufmerksamkeit der Schüler:innen zu lenken.
Außerdem kann sie mit Hilfe des korrektiven Feedbacks ‚fehlerhafte‘ Äußerungen der Schüler:innen aufgreifen und korrekt wiedergegeben, ohne dass das Kind direkt auf seinen Fehler hingewiesen wird. Diese Techniken sollten situationsangemessen und sensibel eingesetzt werden, damit die kommunikative Interaktion nicht beeinträchtigt wird. Auch müssen Schüler:innen zunehmend lernen, Nichtverstehen zu erkennen und zu signalisieren.
Hierbei handelt es sich um methodische Aspekte der Unterrichtsgestaltung, die sprachbeeinträchtigten Kindern Lernen erleichtern bzw. erst ermöglichen. Da vielfach die auditiven Wahrnehmungsleistungen der Kinder eingeschränkt sind, ist der Einsatz von unterstützenden Handzeichensystemen oder Mundbildern hilfreich. Sie können ebenso wie Anlautbilder dazu beitragen, bei den Schüler:innen die Fähigkeit zu entwickeln, ähnlich klingende Laute zu unterscheiden und Phonem-Graphem-Korrespondenzen zu sichern. Handlungsbegleitendes Sprechen unterstützt das Verständnis von Inhalten und Abläufen.
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Mit Trickfilmen und Erklärvideos Sprache fördern
Bahr, R. (2007). Sprachtherapeutischer Unterricht: Eine Perspektive für den Förderschwerpunkt Sprache. In Kolberg, T. (Hrsg.): Sprachtherapeutische Förderung im Unterricht. Stuttgart: Kohlhammer
Baumgartner, S. (2004). Sprachheilpädagogik ist Pädagogik und mehr. In: Dannenbauer, F. M. & Maihack, V. et al (Hrsg.): Standort Sprachheilpädagogik. Dortmund: Verlag modernes lernen
Dannenbauer, F. M. (1998). Thesen zum Zusammenhang von sprachheilpädagogischem Unterricht und sprachlicher Individualtherapie. In: Die Sprachheilarbeit 43 (2)
Farau, A. & Cohn, R. C. (2001). Gelebte Geschichte der Psychotherapie. Zwei Perspektiven. Stuttgart: Klett-Cotta
Mayer, A. (2021). Ein Plädoyer für die Bedeutung der Sprachheilpädagogik in schulischen Kontexten. In: Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 90
Reber, K. & Schönauer-Schneider, W. (2022): Bausteine sprachheilpädagogischen Unterrichts. München: Reinhardt-Verlag
Schönauer-Schneider, W. & Eberhardt, M. (2017). „Hä?“ Monitoring des Sprachverstehens bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörung und Kindern mit Autismus. Forschung Sprache 5 (2)
Theisel, A. K. (2014a). Ein Faktorenmodell zu Qualitätsmerkmalen des Unterrichts mit sprachbeeinträchtigten Kindern. In: Forschung Sprache (2)
Theisel, A. K. (2014b). Qualitätsmerkmale des Unterrichts mit sprachbeeinträchtigten Kindern und Schulleistungsentwicklung. In: Sallat, S. & Spreer, M. et al (Hrsg.): Sprache professionell fördern: kompetent-vernetzt-innovativ. Idstein: Schulz-Kirchner-Verlag
Werner, B. & Theisel, A. (2021). Sprachsensibilität – ein Qualitätsmerkmal für Lehrwerke und Unterrichtsmaterialien!? Der Heidelberger Kriterienkatalog. In: Praxis Sprache, 66 (1)
Layout und Gestaltung: Christian Albrecht, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg