Hinweise und Ideensammlung zum situativen Handeln im Themenfeld Gesundheit
Allgemeine Hinweise zur Gestaltung situativen Handelns
Im schulischen Alltag schaffen kleine und vermeintlich “simple” Handlungsmöglichkeiten präventiv und niederschwellig einen hilfreichen Rahmen. Dieser kann Kindern und Jugendlichen in schwierigen Lebenslagen Halt und Orientierung geben und damit zur Bewältigung herausfordernder Situationen beitragen.
Die hier dargestellten Anregungen dienen als Impulse und nicht als Rezepte. Oberflächlich betrachtet wirken sie wie einfach anzuwendende Techniken. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass auch hinter diesen Handlungsmöglichkeiten die darunter liegende Haltung der Lehrkraft von zentraler Bedeutung ist. Diese ist maßgeblich dafür, ob die betreffenden Schüler:innen eine Maßnahme als Strafe oder Unterstützung, als Beschämung oder Entlastung wahrnehmen können.
Insgesamt finden sich die hier vorgestellten Handlungsmöglichkeiten in der Literatur rund um das Thema “Klassenführung”. Im Rahmen der WSD gehören sie zu dem Gesamtpaket der unter “situativen Handeln” vorgestellten Handlungsmöglichkeiten und sind immer vor dem Hintergrund der individuellen Entwicklungs- und Bildungsangebotsplanung zu verstehen.
Um eine sinnvolle und zielführende Umsetzung einer Handlungsmöglichkeit im Vorfeld zu überprüfen, sollte die aktuelle Situation mehrperspektivisch analysiert werden:
Reflexion der eigenen Person, der Beziehung zum Kind und zur Gruppe (Bedürfnisse, Motive, Ansprüche, Werte, Formen der Beziehungsgestaltung, persönliche Stressauslöser, persönliche Ressourcen, …)
Reflexion der Beobachtungen des einzelnen Kindes oder Jugendlichen (Umgang mit Bedürfnissen, Situationen des Wohlbefindens, Situationen des Unwohlseins, Umgang mit Unterstützung, Verletzlichkeiten, Beziehung zur Gruppe, Position innerhalb der Gruppe, …)
Reflexion der Beobachtungen von Interaktionen innerhalb der Gruppe (Gruppenklima, Gruppenkodex, Kleingruppenbildungen, Beziehungen untereinander, Allianzen, Austragungsformen für Konflikte, …)
Reflexion der Beobachtungen von Unterrichtssituationen (Interessen der Gruppe oder einzelner Schüler:innen, Resonanz auf Unterrichtsthemen, hilfreiche Arbeitsformen, vertraute/hilfreiche Sozialformen, …)
Reflexion der Rahmenbedingungen (räumliche Bedingungen wie Raumgröße, -ausstattung, - beleuchtung, -temperatur, Gestaltung des Raumes durch Sitzordnung, ausliegende Materialien, Raumschmuck, Bilder, …)
Situatives Handeln
Konkrete Ansatzpunkte (zum Ausklappen bitte anklicken)
Beziehungsgestaltung
Gelingt es Ihnen, mit den einzelnen Schüler:innen in Kontakt zu treten/zu bleiben (kurzer Blickkontakt, kleine Gesten und Bemerkungen, …)?
Gelingt es Ihnen, eine positive Grundstimmung zu erzeugen?
Dürfen Gefühle wie Freude, Angst, Trauer und Ärger gezeigt werden?
Legen Sie Wert auf einen freundlichen und förderlichen Umgangston?
Wie gelingt es Ihnen, Beschimpfungen und Abwertungen gegenüber Schüler:innen zu vermeiden?
Vermeiden Sie beschämende Situationen?
Gelingt es Ihnen, mit Humor schwierige Momente umzudeuten?
Gelingt es Ihnen, liebenswerte Seiten der Schülerin:des Schülers zu sehen?
Wie unterstützen Sie gruppendynamische Prozesse (z.B. gemeinschaftsfördernde Aktivitäten zu Schuljahresbeginn, aktive Arbeit am Gruppenkodex, Umgang mit Konflikten, …)?
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Gestaltung der Sitzordnung und des Sitzplatzes
Braucht die Schülerin:der Schüler die Nähe der Lehrkraft?
Braucht die Schülerin:der Schüler positive Vorbilder?
Braucht die Schülerin:der Schüler Freund:innen in der Nähe?
Braucht die Schülerin:der Schüler einen festen Platz?
Braucht die Schülerin:der Schüler weniger Reize?
Braucht die Schülerin:der Schüler schützende Begrenzungen durch Wände/Regale etc.?
Braucht die Schülerin:der Schüler Unterstützung bei der Organisation des Arbeitsplatzes? (z.B. Markierungen von Bereichen für Materialien)
Haben die Schüler:innen die Möglichkeit, den eigenen Sitzplatz persönlich zu gestalten?
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Gestaltung der Lernumgebung
Fördert das Klassenzimmer das Wohlbefinden durch eine ansprechende und anregende Gestaltung?
Können die Schüler:innen das Klassenzimmer mitgestalten?
Sind im Klassenzimmer Ablenkungen durch Bilder, Materialien etc. minimiert?
Hat die Einrichtung des Klassenzimmers eine klare Struktur, durch die Orientierung unterstützt wird?
Sind verschiedene Fächer durch verschiedene Farben gekennzeichnet?
Wie ist der Tisch der Lehrpersonen gestaltet? (Modelllernen)
Wie kann ungestörtes Lernen unterstützt werden? (z.B. durch Abtrennungen)
Wo werden erledigte Aufgaben abgelegt?
Wann und wo werden Hausaufgaben abgegeben?
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Gestaltung des Unterrichts und der Arbeitsaufträge
Gestalten Sie den Unterricht anregend?
Teilen Sie die Lernzeit in bewältigbare Abschnitte auf?
Wie häufig wechseln Sie Methoden und Aktivitäten?
Sprechen Sie verschiedene Sinneskanäle an? (hören, sehen, anfassen, …)
Wie viel Zeit planen Sie für selbständiges Arbeiten der Schüler:innen ein?
Verwenden Sie visuelle Hilfsmittel?
Wie lange dauert das Unterrichtsgespräch?
Stellen Sie anregende Fragen?
Nehmen Sie Schüler:innenbeiträge auf?
Geben Sie Ihren Schüler:innen genügend Nachdenkzeit?
Wann und wie oft gibt es für die Schüler:innen nachvollziehbares, konkretes Feedback?
Sprechen Sie mit der Schülerin:dem Schüler individuelle, konkrete Ziele ab? (Verhaltens- und Leistungsebene)
Wann darf man in der Klasse miteinander sprechen?
Zu welchem Zweck darf man in der Klasse aufstehen?
Kommentieren Sie positives (Arbeits-)verhalten?
Versichern Sie sich durch Blickkontakt, ob die Schülerin:der Schüler den Arbeitsauftrag angefangen hat?
In welcher Stimmlage geben Sie Anweisungen? Sprechen Sie mit freundlicher Stimme, um Zuversicht zu vermitteln? Sprechen Sie klar und bestimmt, um Grenzen aufzuzeigen?
Sind Ihre Arbeitsanweisungen kurz und klar?
Was müssen Schüler:innen tun, wenn sie Hilfe benötigen?
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Unterrichtsfluss aufrechterhalten
Üben Sie mit der Klasse wiederkehrende Abläufe ein? (z.B. schnelles Austeilen)
Wie organisieren Sie Übergänge? (z.B. von einer Aktivität zur anderen)
Wie vermeiden Sie Leerlauf? (z.B. für Schüler:innen, die früher fertig sind)
Wie vermeiden Sie eigene Störungen? (z.B. lange Moralpredigten, Äußerungen zu Nebensächlichkeiten)
Konzentrieren Sie sich auf die Aufgabe? Oder auf die Störung? (Statt „Tom, sei still!“, „Tom, schreibe die Sätze zu Ende!“)
Zeigen Sie mit nonverbalen Signalen, dass Sie Unterbrechungen z.B. während Sie einen Arbeitsauftrag formulieren, nicht wünschen? (“Overlapping”)
Zeigen Sie, dass Sie merken, was in der Klasse vor sich geht, indem Sie sich z.B. im Raum bewegen und Einzelne nonverbal begrenzen? (“Augen im Hinterkopf haben”)
Planen Sie den Umgang mit Phasen, in denen Störungen auftreten werden, im Voraus?
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Gestaltung der Umgangsregeln
Achten Sie auf die Einhaltung weniger grundlegender Regeln?
Sind die Regeln eindeutig, handlungsorientiert und positiv formuliert?
Achten Sie insbesondere zum Schuljahresbeginn auf die Einführung von verbindlichen Regeln?
Wissen die Schüler:innen, warum die Regeln wichtig sind? (z.B. dass Worte wehtun können)
Welche Möglichkeiten haben Sie, im Vorfeld von Sanktionen auf Regelverstöße zu reagieren? (Blickkontakt, kurze Bemerkung, Rückgriff auf individuelle Vereinbarungen, …)
Bestärken Sie verhaltensauffällige Schüler:innen bei positivem Verhalten?
Nehmen Sie Ihre eigenen Regeln ernst?
Reagieren Sie früh auf Regelverstöße?
Welche Konsequenzen folgen bei der Missachtung der Regeln und sind diese bekannt?
Fordern Sie bei unangemessenem Verhalten die Schülerin:den Schüler zur Unterstützung auf? (“Ich brauche jetzt deine Hilfe, damit nicht alles schiefgeht…”)
Wie gehen Sie mit Konflikten um (passiv-vermeidend durch Ignorieren, Maßregeln oder aktiv-gestaltend durch Aufgreifen, Ansprechen, Klären?
Welche Konfliktbearbeitungsstrategien kennen und nutzen Sie?
Nehmen Sie in Konflikten Bezug auf die Regeln?
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Ideensammlung zum situativen Handeln
Die Ideensammlung zum situativen Handeln verknüpft sich gedanklich mit den allgemeinen Hinweisen zur Planung und Gestaltung von schulischen Bildung- und Erziehungsangeboten.
Die hier aufgeführten Beispiele erheben weder den Anspruch, alle denkbaren Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit herausforderndem Verhalten abzubilden, noch sind sie als Tipps zum wahllosen Ausprobieren zu verstehen. Sie sollten als individuelle Bildungs- und Erziehungsangebote nach Möglichkeit vielmehr im Zusammenhang mit den aus den Erklär-Hypothesen abgeleiteten Zielen stehen. Entscheidend bei der Umsetzung der Beispiele ist neben einem beziehungsförderlichen, möglichst präventiven und deeskalierenden Vorgehen auch die regelmäßige, kritische Reflexion der Lehrkräfte in der Anwendung.
Wichtig: Selbstverständlich können sämtliche Beispiele auch diagnostisch gewendet werden. Hierbei rückt die Frage ins Zentrum, welches Ziel im diagnostischen Sinn durch den Einsatz eines Beispiels in den Blick genommen werden soll.
Die ausgewählten Beispiele stammen überwiegend aus den Planungshilfen nach Hartke & Vrban (Erprobungsversion 2005 in Vrban, 2007). Diese leiten sich aus verschiedenen Theorien (Lerntheorie, Kognitionspsychologie und Humanistische Psychologie) oder typischen Problembereichen (bewährte/evidenzbasierte Hilfen bei aggressiven oder ängstlichen Verhaltensweisen) ab und sind in der strukturellen Darbietung immer gleich aufgebaut.
Ergänzt werden die Beispiele von Hartke & Vrban durch Möglichkeiten, durch spielerisches, zeichnerisches und verbal-thematisches Gestalten weiterführende diagnostische Settings bzw. passende Bildungs- und Erziehungsangebote zu generieren.
Ein systematisiertes, theoriegeleitetes, strukturiertes und zielgerichtetes Vorgehen der Lehrkräfte soll damit unterstützt werden.
Übersicht der Impulse im Themenfeld Gesundheit
Literatur
Hartke, B. & Vrban, R. (2008). Schwierige Schüler - 49 Handlungsmöglichkeiten bei Verhaltensauffälligkeiten. 1.-4. Klasse. Buxtehude: Persen
Hartke, B., Blumenthal, Y., Carnein, O. & Vrban, R. (2014). Schwierige Schüler – Sekundarstufe – 64 Handlungsmöglichkeiten bei Verhaltensauffälligkeiten. 5.-10. Klasse. Hamburg: Persen
Hartke, B., Blumenthal, Y, Carnein, O. & Vrban, R. (2018). Schwierige Schüler - 84 Handlungsmöglichkeiten bei Verhaltensauffälligkeiten und sonderpädagogichem Förderbedarf - 1. - 10. Klasse. Hamburg: Persen.
Hillenbrand, C., Hennemann, T., Hens, S. & Hövel, D. (2013). “Lubo aus dem All!” - 1. und 2. Klasse. Programm zur Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen. München: Reinhardt
Nolting, H.-P. (2002). Störungen in der Schulklasse. Ein Leitfaden zur Vorbeugung und Konfliktlösung. Weinheim: Beltz
Vrban, R. & Hartke, B. (2009). Schwierige Schüler – 49 Handlungsmöglichkeiten. Ergebnisse
eines Forschungsvorhabens zur Entwicklung und Evaluation von Planungshilfen zur Unterstützung des Lehrerhandelns. Zeitschrift für Heilpädagogik, 2, S. 54 -63.
Vrban, R. (2017). Problemsituationen bewusst begegnen. Grundschule, 1, 20-25.
Vrban, R. (2007). Kognitionspsychologische Grundlagen der Gestaltung von Materialien für Lehrkräfte zur Unterstützung des Lehrerhandelns - am Beispiel Planungshilfen Schulische Prävention. Dissertation Philosophische Fakultät der Universität Rostock (online abrufbar, Universität Rostock).
Wienand, F. (2019). Projektive Diagnostik bei Kindern, Jugendlichen und Familien – Grundlagen und Praxis. Ein Handbuch. Stuttgart, Kohlhammer - GmbH. 2. Auflage.
https://www.zentrales-adhs-netz.de/fuer-paedagogen/hilfreiche-konzepte-materialien/adhs-in-der-schule-strategien-fuer-schule-und-unterricht/
Layout und Gestaltung: Christian Albrecht, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) Baden-Württemberg